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Nationsidee, Kirche & Religionsfonds 169
Diese wiederholte Aufwärmung des sprachlichen Kohls, an dem jedoch in den gr.-or. Kir-
chengemeinden slavischer Zunge Niemand einen Geschmack findet, ist vom Standpunkte der
ukrainophilen Theorie und der Unionsbestrebungen begreiflich, aber vom Standpunkte der
wohlverstandenen Lebensinteressen der orthodoxen Kirche und des kirchlichen Friedens in
der durch die Bande des Glaubens und des religiösen Cultus geeinigten gr.-or. Bevölkerung
des Landes beider Zungen ist die beliebte Anregung und Verfechtung von Nationalitätsfragen
überhaupt verderblich.198
Drei Jahre darauf, 1891, berief Morariu-Andriewicz einen Kirchenkongress nach Czer-
nowitz ein, der nunmehr endlich die Frage nach einer längst fälligen Normierung der
gr.-orient. Kirche behandeln sollte. Allerdings brachte diese Konferenz in ihrem Fort-
gang ein völlig anderes als das vom Erzbischof zuvor in der Apologie geschilderte Bild
–
nämlich kirchlicher Einheit im Glauben abseits nationaler Konfessionalisierung – zu
Tage. Schon die Eröffnung führte zu einem veritablen Skandal zwischen den Teilneh-
mern und dem amtierenden Landespräsidenten Anton Graf Pace als kaiserlichem Ver-
treter. Pace war Hieronymus Freiherrn von Alesani in diesem Amt nachgefolgt und ver-
trat im Gegensatz zu seinem Vorgänger, der die rumänische Adelspartei gestützt hatte,
eine gänzlich andere Politik.199 Pace hatte in seiner Eröffnungsrede mit Nachdruck die
»Aufrechterhaltung der Gleichberechtigung beider Nationalitäten der Ruthenen und
Rumänen« innerhalb der gr.-orient. Kirche verlangt, nachdem die Kongressmitglieder
ausschließlich Rumänisch als Diözesansprache (und folglich auch im Kongress) durch-
setzen wollten. Letzteres widersprach der gültigen Konsistorialgeschäftsordnung von
1869.200 Die Bukowinaer Rundschau – und damit weite Teile der auf diesem Feld oh-
nehin sensibilisierten Öffentlichkeit des Kronlandes – vermerkte diesen Vorfall als
neuerlichen Auftakt zu nationalen Querelen innerhalb der Kirche : »Was nun gesche-
hen wird, wir wissen es nicht. Aber es fiel der erste Schuß und dies bedeutet immer
Kriegsgefahr.«201 Der Kongress verlief – zumindest in der Außenwahrnehmung – ohne
größere Resultate.202 Die ruthenischen Angehörigen der Landeskirche bzw. ihre Eliten
sahen sich indes im Recht, nunmehr auch ihre Forderungen vorzubringen. In einer Ar-
198 Morariu-Andriewicz 1890, Apologie, 32.
199 Corbea-Hoişie 2010, Czernowitz, 38 ; Anonymus 1891, Apologie, 20 ; Corbea-Hoişie 2005,
Wende.
200 »Bezüglich der Sprache, in welcher die Verlautbarungen gedruckt werden sollen, hat der Grundsatz
zu gelten, daß dabei der gleichen Berechtigung der beiden Diöcesansprachen, nämlich der romani-
schen und slavischen, volle Rechnung getragen werde« ; Bukowina. Landes- und Amtszeitung VI. Jg.
Nr. 148 v. 15.XII.1867, 2.
201 Bukowinaer Rundschau X. Jg. Nr. 1041 v. 4.X.1891, 1f., Chauvinismus.
202 Bukowinaer Rundschau X. Jg. Nr. 1051 v. 27.X.1891, 2.
Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949
Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
- Title
- Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949
- Subtitle
- Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
- Author
- Kurt Scharr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20927-0
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 447
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Zum Geleit! 11
- Einleitung 13
- 1. Vorwort 13
- 2. Institutionen als Forschungsgegenstand: Analyse & Methodik 18
- 3. Aspekte des Josephinismus. Der katholische Religionsfonds 34
- 4. Gründung des griechisch-orientalischen Religionsfonds 43
- 5. Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds Mitte des 19
- 6. Nationsidee, Kirche & Religionsfonds 116
- 7. Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds bis 1914 215
- 8. Fondul Bisericesc Ortodox Român 1918–1948 246
- 9. Die wirtschaftliche Situation um 1938 289
- 10. Hebel strukturellen Wandels : Jakobeny – Dornawatra (1784–1949) 306
- 11. Zusammenfassungen 340
- I. Verzeichnis ungedruckter Quellen 371
- II. Abbildungsverzeichnis 377
- III. Abkürzungsverzeichnis 380
- IV. Literaturverzeichnis 381
- V. Personenregister 433
- VI. Synoptische Ortsnamenkonkordanz 439