Page - 193 - in Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949 - Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
Image of the Page - 193 -
Text of the Page - 193 -
Nationsidee, Kirche & Religionsfonds 193
vorschlug. Schon den Vorschlägen würden erbitterte politische Kämpfe vorausgehen. Eine sol-
che Prozedur wäre nicht geeignet, das Ansehen und die Würde der Krone zu fördern und die
Wahl des Würdigsten sicherzustellen. Für die obersten Beamten der Hierarchie sollen der Regel
nach nur Eigenschaften den Ausschlag geben, welche mit einer bestimmten Nationalität nicht
zusammenhängen. Es wäre z. B. durchaus verfehlt, die Person des Erzbischofs abwechselnd
der einen und der anderen Nation zu entnehmen, wenngleich es sehr naheliegend erscheint,
aus politischen Gründen einen derlei Turnus einzuführen. Überhaupt scheint das Hereinzie-
hen der Nationalität in die Organisation und Verwaltung der Kirche als eine sehr bedenkliche
Neuerung, weil eben die Gefahr besteht, daß nationale Rücksichten alle anderen sachlichen
zurückdrängen werden.301
Im Vordergrund steht in unserem Falle die zweckmäßige Bewirtschaftung des großen Grund-
besitzes, man denke sich nun, ein gewiß unter politischen Einflüssen zustande gekommener
Kongreß soll über Einführung neuer Wirtschaftsmethoden, Grund-An- und
–Verkäufe, Inves-
titionen, Abschließung von langandauernden Abstockungsverträgen, Anstellungen u. direkt
oder durch das Mittel der Budgetierung entscheiden. Andererseits soll der Kongreß über orga-
nisatorische Maßnahmen der eigentlichen Kultusverwaltung, über Gehalte und Aushilfen für
Geistliche das entscheidende Wort sprechen.302
Allein der Versuch des Sektionschefs, der über eine langjährige persönliche Innensicht
der Verhältnisse in der Bukowina verfügte303, hier objektiven Kriterien im Sinne der
supranationalen österreichischen Ideologie das Wort zu reden, entsprach wenig den po-
litischen Gegebenheiten des Kronlandes. Der Wiener Regierung und ihren Repräsen-
tanten in Czernowitz bot sich in dieser Angelegenheit kaum mehr Spielraum. Lediglich
eine auf Lavieren und Ausgleich bedachte Politik konnte aus ihrer Perspektive noch zur
Deeskalation beitragen, mit dem Resultat, letztlich von beiden nationalen Seiten im Kir-
chenstreit aus ihrer jeweils spezifischen Unzufriedenheit heraus angefeindet zu werden.
Als am 5. März 1902 Czuperkowicz stirbt, übernimmt der bereits seit 1896 als Ge-
neralvikar amtierende Wladimir v. Repta die Leitung der Erzdiözese. Repta hatte schon
1898 mit der Ernennung zum Bischof von Radautz höhere Weihen empfangen. Der
Czernowitzer Universitätsprofessor für Bibelstudium und Exegese, mit weltlichem
Namen Basil/Vasile, kam am 25. Dezember 1841 in Russisch Banilla (rum. Bănila pe
Ceremuş, auch Bănila rusească) in der Bukowina zur Welt. Seine Familie gehörte dem
301 Spaun 1907, Kirchenfrage, 370.
302 Österreichische Zeitschrift für Verwaltung Nr. 8 v. 25.II.1909, 30.
303 Spaun war über Jahre hinweg Mitglied im Verwaltungsrat der Bukowiner Lokalbahnen ; Grazer
Tagblatt Nr. 172 v. 23.VI.1911, 22.
Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949
Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
- Title
- Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949
- Subtitle
- Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
- Author
- Kurt Scharr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20927-0
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 447
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Zum Geleit! 11
- Einleitung 13
- 1. Vorwort 13
- 2. Institutionen als Forschungsgegenstand: Analyse & Methodik 18
- 3. Aspekte des Josephinismus. Der katholische Religionsfonds 34
- 4. Gründung des griechisch-orientalischen Religionsfonds 43
- 5. Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds Mitte des 19
- 6. Nationsidee, Kirche & Religionsfonds 116
- 7. Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds bis 1914 215
- 8. Fondul Bisericesc Ortodox Român 1918–1948 246
- 9. Die wirtschaftliche Situation um 1938 289
- 10. Hebel strukturellen Wandels : Jakobeny – Dornawatra (1784–1949) 306
- 11. Zusammenfassungen 340
- I. Verzeichnis ungedruckter Quellen 371
- II. Abbildungsverzeichnis 377
- III. Abkürzungsverzeichnis 380
- IV. Literaturverzeichnis 381
- V. Personenregister 433
- VI. Synoptische Ortsnamenkonkordanz 439