Page - 236 - in Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949 - Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
Image of the Page - 236 -
Text of the Page - 236 -
236 Die Institution: Struktur & Werte
maße technisierte wie kapitalisierte Forstwirtschaft des Religionsfonds drang selbst in
die entlegenen Urwälder der Bukowina unaufhaltsam die Moderne mit all ihren Facet-
ten ein. Die sozialkritische zeitgenössische Prosa einer Olga Kobyljanska (1863–1942)
verleiht, wohl geprägt aus persönlicher Beobachtung, diesen oftmals überaus greifbaren
Missständen eine eigene Sprache. Die Schriftstellerin zeichnet in einer ihrer Erzählun-
gen, getragen von Sozialromantik, das Bild einer untergehenden Welt. In einer unglei-
chen Schlacht, in der die Eisenbahn im Verbund mit gedungenen, willenlosen Söldnern
gegen die Natur antritt, sind die betroffenen Arbeiter der Abhängigkeit von in »Wohl-
stand schwelgenden Kirchenratten« ausgeliefert. Die Problematik der verschachtelten
Verpachtungspraxis in der Bukowina, die den am Ende der Kette eigentlich Grund und
Boden bearbeitenden Bauern kaum genug zum Leben bot, wird bei Kobyljanska ebenso
angesprochen wie der auch von politischer Seite immer wieder eingebrachte Vorwurf des
Ausverkaufs vermeintlich Gott gegebener heimischer Reichtümer des Landes.
An einem nebelgrauen Morgen begann die Schlacht.
Auf dem durch den engen Thalraum gebauten Bahnwege, dessen Schienen sich wie Silber-
schlangen in koketten Krümmungen um den dicht neben ihnen laufenden Bach wanden –
kam die Rollbahn gefahren.
Ein feindseliges Gezisch, ein gellendes, durchdringendes Pfeifen kündigte ihre Ankunft an.
Nicht weit vom Ende dieses Weges hielt sich unter Schnauben an, zornige, schwarze Dampf-
ringe pfeilschnell in die Höhe stoßend…
Sie hatte den Feind gebracht.
Er stieg aus. […]
»Ja, ja,« hörten sie einen Arbeiter erzählen, den man den ›Närrischen‹ nannte, »so verhee-
ren ausländische Antichristen die schönen Waldungen, die Gotte unserem Lande zur Freude
wachsen ließ !… Weiß Gott… die Kutten behüteten ihn schlecht und werden dereinst schwer
zu verantworten haben. Und nun soll all dies wunderschöne Holz fort, vielleicht übers Meer ?
Und was unser Land davon hat ? Frage man nur die Kirchenratten, die das große Wort bei der
Verwaltung reden, die im Wohlstand schwelgen und fasten, dass ihre sündigen Leiber aus den
Fugen gehen. Fraget sie, was unser Land davon hat !«
– Und nach einer Weile, während welcher
er die Sägespäne aus den Augen gewischt hatte, rief er weiter : »Man baut schon nach der an-
deren Seite hin den Bahnweg. Es heißt wieder : ›Auf neue zehn Jahre gepachtet !‹ Ja, nur noch
zehn Jahre und dann noch einmal zehn Jahre, und aus wird es sein mit dem Reichtum unseres
Landes. Verfluchte Gerechtigkeit ! – dass ich doch nicht lieber deinen Leib zersägen kann, an-
statt dieses Stammes da, und alle die Höllenöfen da unten nicht lieber mit jenen Teufelsbr… –
»eine schallende Ohrfeige des Sägemeisters machte dieser Rede ein Ende.77
77 Kobylanska 2013, Valse, 46 u. 62.
Open Access © 2020 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN
Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949
Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
- Title
- Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949
- Subtitle
- Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
- Author
- Kurt Scharr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20927-0
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 447
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Zum Geleit! 11
- Einleitung 13
- 1. Vorwort 13
- 2. Institutionen als Forschungsgegenstand: Analyse & Methodik 18
- 3. Aspekte des Josephinismus. Der katholische Religionsfonds 34
- 4. Gründung des griechisch-orientalischen Religionsfonds 43
- 5. Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds Mitte des 19
- 6. Nationsidee, Kirche & Religionsfonds 116
- 7. Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds bis 1914 215
- 8. Fondul Bisericesc Ortodox Român 1918–1948 246
- 9. Die wirtschaftliche Situation um 1938 289
- 10. Hebel strukturellen Wandels : Jakobeny – Dornawatra (1784–1949) 306
- 11. Zusammenfassungen 340
- I. Verzeichnis ungedruckter Quellen 371
- II. Abbildungsverzeichnis 377
- III. Abkürzungsverzeichnis 380
- IV. Literaturverzeichnis 381
- V. Personenregister 433
- VI. Synoptische Ortsnamenkonkordanz 439