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20 | Einleitung
nichthierarchische Netzwerke und – mitunter situative – Kollaborationen einen er-
heblichen Einfluss ausüben, die in intermediäre, partiell informelle Bereiche zwischen
Öffentlichkeit und Privatem hineinreichten.52 Somit lenkt die urban governance die
Aufmerksamkeit auf nicht unmittelbar evidente Aspekte sozialer Interaktion in der
Stadt.
Auch die Überlegungen des französischen Soziologen Henri Lefebvre zu Urbani-
sierung und städtischem Alltagsleben bieten – obgleich Lefebvre aus der Perspektive
des Nachkriegsfrankreich auf die Vergangenheit blickte – einige interessante Ansätze,
um die Transformation städtischer Umwelt zu rekonstruieren.53 Erstaunlicherweise
wurden Lefebvres Texte zu städtischen Räumen in den Geschichtswissenschaften stär-
ker rezipiert als die zum Alltag, obgleich die Alltagsgeschichte eine erhebliche Nähe
zu marxistischen Ansätzen aufwies und Lefebvre schon Ende der 1950er Jahre – sich
dabei auf Marc Bloch beziehend – eine Agenda der Alltagsgeschichte umrissen hatte :
»Tatsachen ohne Prestige [i.e. das Alltägliche] waren tatsächlich wesentlich wichtiger
und sind für uns, Historiker, aufklärender als sensationelle Ereignisse.« Man müsse
»weg von den hervorragenden Ereignissen zur Gesamtheit der Alltagsereignisse […,]
weg vom Schein zur Realität«.54
In den Arbeiten von Lefebvre zur Entwicklung von Städten gibt es einen deutlichen
Fokus auf die Industrialisierung, wobei sich insgesamt eine tendenziell negative Deu-
tung der Industriestadt des 20. Jahrhunderts, besonders der saturierten Konsum- und
Wohlstandsstadt in der Zeit des Nachkriegsfordismus abzeichnet, zudem ist Lefebvres
Argumentation spürbar von der damaligen Diskussion um eine »Krise der Stadt« und
seiner Hoffnung auf eine von urbanen Räumen ausgehende gesellschaftliche Revolu-
tion geprägt.55 Dennoch ist Lefebvre mit seinen Überlegungen nicht allzu weit von
den zuvor angesprochenen Positionen der Alltagsgeschichte, der politischen Ökologie
und der urban governance entfernt : Auch er sah in der Alltäglichkeit einen »Leitfaden«,
um »Gesellschaft« – und hier könnte man die Umwelt hinzufügen – rekonstruieren
zu können.56 Er hatte längerfristige Transformationsprozesse im Blick und identifi-
zierte drei Ebenen von Akteuren in urbanen Prozessen, auch bei Veränderungen des
Alltags : erstens eine »private Ebene«, die eine »Ebene der unmittelbaren, persönlichen
und zwischenpersönlichen Beziehungen« zwischen Individuen und Gruppen – von
Familie bis hin zu Korporationen – darstelle ; zweitens eine »ferne Ordnung« großer
und mächtiger Institutionen, z. B. von Nationalstaaten, die eine »ganz allgemeine, also
ganz abstrakte« Macht auf städtische Räume ausübe ; drittens eine gemischte Ebene
(médiation), die zwischen diesen Ebenen liege und zugleich die »eigentlich« städtische
52 Einig et al., Governance, I–III.
53 Vgl. zum Kontext : Schmid, Stadt, 113 – 169.
54 Lefebvre, Kritik, Bd. 1, 141 u. 143.
55 Schmid, Stadt, 125 – 129 u. 147.
56 Lefebvre, Alltagsleben, 46.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Transformationen städtischer Umwelt
Das Beispiel Linz, 1700 bis 1900
- Title
- Transformationen städtischer Umwelt
- Subtitle
- Das Beispiel Linz, 1700 bis 1900
- Author
- Georg Stöger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21233-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 368
- Keywords
- Umweltgeschichte, Stadtgeschichte, Nachhaltigkeit
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- 1. Einleitung 11
- 2. Kontexte : Linz 1700 bis 1900 36
- 3. Wasser 75
- 4. Energie und Biomasse 109
- Omnipräsenz des Brennholzes 109
- Die langsame Transition zur fossilen Energie 118
- Pferde und Wasser : Erneuerbare Antriebsenergie 123
- Lebensmittel : Lokaler Bedarf und lokale Versorgung 127
- Dritter bis sechster »Kreis« : Lebensmittel aus dem Um- und Hinterland 137
- Modifikationen der Lebensmittelversorgung 141
- 5. Zirkulationen und Output 145
- 6. Fluviale und aquatische Räume 185
- 7. Geordnete und modifizierte Umwelt 205
- 8. Natur der Städter – Natur für Städter 232
- 9. Epidemie 253
- 10. Versorgungskrise 274
- 11. Naturgefahr 290
- 12. Logiken und Akteure des Existenten und des Wandels 324
- Literatur- und Quellenverzeichnis 332
- Archivalien und ungedruckte Quellen 332
- Datenbanken 333
- Periodika 333
- Gedruckte Quellen und Literatur 334
- Anhang 358
- Verzeichnis der Tabellen und Grafiken 358
- Abbildungsnachweis 359
- Währungen und Maßeinheiten 360
- Hinweise zu den kartographischen Darstellungen 362
- Abkürzungen 364