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7. Geordnete und modifizierte Umwelt
Unsaubere und saubere Vormoderne
In der stadtgeschichtlichen Forschung ist für die Zeit vor dem 19. Jahrhundert meis-
tens eine prinzipiell schmutzige Stadt angenommen worden – es habe ein anderes
Hygienebewusstsein gegeben und es habe Ignoranz vorgeherrscht, zudem hätten um-
fangreichere Infrastrukturen der Sauberkeit gefehlt.1 Analog dazu ist für das frühneu-
zeitliche Linz davon ausgegangen worden, »daß der Standard der Allgemeinhygiene
nicht besonders hoch war«.2 Diese Einschätzungen sind vermutlich darauf zurückzu-
führen, dass eine Annäherung an die alltägliche Sauberkeit resp. Unsauberkeit schwie-
rig ist. Als Quellen sind meistens normative Texte herangezogen worden, die relativ
stereotyp – und regelmäßig (oft nach oder unmittelbar vor Epidemien) – von den
Stadtbewohnern/innen verlangten, Unsauberkeiten »abzustellen« (vgl. unten). Die
Linzer Ego-Dokumente bieten diesbezüglich keine Anhaltspunkte, wenn man von en
passant geäußerten Bemerkungen in Reisebeschreibungen absieht.3 Auch Nachbar-
schaftskonflikte, etwa um eine »Mistkrippe« oder einen »Schwainstall«,4 bilden eine
schwierig zu bewertende Quelle : Es erscheint ex post weder sinnvoll noch möglich,
aus Einzelfällen – aktenkundig wurden ohnehin nur Bruchteile des Umstrittenen –
Ideale von Sauberkeit abzuleiten, auch zu differenzieren, ob die beklagte Unsauberkeit
als Belästigung oder als Bedrohung der Gesundheit (oder sogar als beides) wahrge-
nommen wurde.5
Bessere Einblicke in alltägliche Praktiken der Sauberkeit gewähren Rechnungs-
und Ausgabenbücher, die zudem nahelegen, ein komplexeres Bild zu entwerfen und
nicht von der Dichotomie »unsaubere Vormoderne« versus »saubere Moderne« aus-
zugehen : In privaten und städtischen Rechnungsbüchern sind regelmäßige häusliche
Reinigungsdienste durch Dienstleister vermerkt,6 wiederholt finden sich Ausgaben für
Kalk, der zur »Aussauberung« von städtischen Gebäuden verwendet wurde.7 Genauso
1 Vgl. Clark, Cities, 204f. u. Lees/Lees, Cities, 283f.; eine skeptischere Beurteilung, die auf die Forschungs-
lücken verweist : Reith, Umweltgeschichte, 101 – 103.
2 Mayrhofer/Katzinger, Geschichte, Bd. 1, 227.
3 Vgl. Gugitz, Linz, 57f.
4 Hier handelte es sich um einen Konflikt des Stifts Kremsmünster in der Altstadt im Jahr 1706 : LR BVI1,
Reg. 984 (376f.) ; ebd. Reg. 990 (379) ; ebd., Reg. 991 (380).
5 Vgl. Lees/Hollen Lees, Cities, 63 u. Rosseaux, Städte, 109f.
6 Vgl. z. B. für das Landhaus : LR BIIA4, Reg. 5379 (177) u. für das Rathaus : AStL, HS 389 (Bauraittung
1750), pag. 104.
7 AStL, HS 399 (Bauraittung 1760), unpag.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Transformationen städtischer Umwelt
Das Beispiel Linz, 1700 bis 1900
- Title
- Transformationen städtischer Umwelt
- Subtitle
- Das Beispiel Linz, 1700 bis 1900
- Author
- Georg Stöger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21233-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 368
- Keywords
- Umweltgeschichte, Stadtgeschichte, Nachhaltigkeit
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- 1. Einleitung 11
- 2. Kontexte : Linz 1700 bis 1900 36
- 3. Wasser 75
- 4. Energie und Biomasse 109
- Omnipräsenz des Brennholzes 109
- Die langsame Transition zur fossilen Energie 118
- Pferde und Wasser : Erneuerbare Antriebsenergie 123
- Lebensmittel : Lokaler Bedarf und lokale Versorgung 127
- Dritter bis sechster »Kreis« : Lebensmittel aus dem Um- und Hinterland 137
- Modifikationen der Lebensmittelversorgung 141
- 5. Zirkulationen und Output 145
- 6. Fluviale und aquatische Räume 185
- 7. Geordnete und modifizierte Umwelt 205
- 8. Natur der Städter – Natur für Städter 232
- 9. Epidemie 253
- 10. Versorgungskrise 274
- 11. Naturgefahr 290
- 12. Logiken und Akteure des Existenten und des Wandels 324
- Literatur- und Quellenverzeichnis 332
- Archivalien und ungedruckte Quellen 332
- Datenbanken 333
- Periodika 333
- Gedruckte Quellen und Literatur 334
- Anhang 358
- Verzeichnis der Tabellen und Grafiken 358
- Abbildungsnachweis 359
- Währungen und Maßeinheiten 360
- Hinweise zu den kartographischen Darstellungen 362
- Abkürzungen 364