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260 | Epidemie
die sich parallel dazu in anderen österreichischen Städten zu dieser Zeit vollzog und
wesentlich durch staatliche Initiativen und neue staatliche Normen in diesem Bereich
begünstigt wurde.48
Eine zweite Expansionsphase in den 1770er und 1780er Jahren vollzog sich ebenso
ohne Epidemien und ging erneut vom Wiener Hof aus : Das sehr umfangreiche »Ge-
neralsanitätsnormativum« (auch »Haupt-Sanitätsnormativ«), das in allen Erbländern
gültig war, schuf 1770 permanente Sanitätskommissionen, die den Landesregierungen
(also dem Staat) direkt unterstellt waren, mahnte »Vorsichten« – also präventives Han-
deln – gegenüber epidemischen Krankheiten ein und sah eine Berichtspflicht sowie eine
Aufsicht über die im Medizinwesen tätigen Akteure vor.49 Ein im Gefolge dieser Anord-
nungen erstellter Bericht zur »Medizinal-Pfuscherei« gibt einen Überblick zu alltägli-
chen medizinischen Infrastrukturen im Linzer Raum : Namentlich genannt wurden u. a.
der Bader im Linzer Lazarett, der auch innere Krankheiten behandelte, ein Bader bei
den Kalvarienwänd, der ambulante Krankenbehandlung durchführte und Medikamente
anbot, ein Ex-Jesuit, der Heilwässer und Pulver erzeugte, ein Bauer, der auch in Linz
Operationen durchführte, drei Frauen, die Medikamente verkauften oder medizinische
Dienstleistungen übernahmen, und »Wälsche Kraxentrager«, die mit medizinischen Pro-
dukten hausierten.50 In den 1770er Jahren schuf die Wollzeugfabrik – ein staatseigener
Betrieb – ebenso eine neue Lösung für die medizinische Betreuung der Beschäftigten.
Ab 1773 erhielten ein Arzt und ein Chirurg Jahresbesoldungen für die Behandlung der
Fabriksangehörigen,51 später
– möglicherweise seit den 1790er Jahren
– wurden dafür die
Krankenhäuser der Elisabethinen und der Barmherzigen Brüder bezahlt.52
Die verstärkten medizinischen Diskurse manifestierten sich auch in der Gründung
des Wiener »Allgemeinen Krankenhauses« und des »Josephinums«, die beide Projekte
von Joseph II. und dessen Reformpolitik darstellten.53 1784 meldete sich der Linzer
Beamte und Schriftsteller Anton Cremeri mit einer – unter einem Pseudonym er-
schienenen – publizistischen Kritik an den Linzer Ordenskrankenhäusern zu Wort :
Die Orden hätten damit ein »Monopolium« auf die städtische Krankenbetreuung,54
was eigentlich eine »öffentliche Angelegenheit des Staates« sei.55 Es bestehe keine
Kontrolle über die Ordenskrankenhäuser, die teuer und ineffizient seien und wieder-
holt Kranke – da »kein Platz« gewesen sei – abgewiesen hätten. Cremeri forderte die
48 Luca, Landeskunde, Bd. 1, 194f.; LR BVIII2, Reg. 989 (107) ; vgl. Macher, Handbuch, Bd. 1, 111 – 129.
49 Sammlung, Bd. 6, 3 – 33 ; Lesky, Gesundheitswesen, 10 – 12 u. 58 – 97 ; vgl. zu deutschen Städten : Evans,
Tod, 270 – 274.
50 LR BIIG6, Reg. 3406 (137f.).
51 LR CIIIF1 u. 2, Reg. 120 (53 – 55) ; vgl. ebd., Reg. 485.
52 LR E1k, Reg. 6278 (55) ; ebd., Reg. 6294 (59) ; LR CIIIF1 u. 2, Reg. 400 (219).
53 Knörlein, Geschichte, 19 ; Lesky, Gesundheitswesen, 118 u. 166f.; Csendes/Opll, Wien, Bd. 2, 31 – 33 u.
399f.
54 Reinberg, Blicke, 9.
55 Ebd., 15f.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Transformationen städtischer Umwelt
Das Beispiel Linz, 1700 bis 1900
- Title
- Transformationen städtischer Umwelt
- Subtitle
- Das Beispiel Linz, 1700 bis 1900
- Author
- Georg Stöger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21233-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 368
- Keywords
- Umweltgeschichte, Stadtgeschichte, Nachhaltigkeit
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- 1. Einleitung 11
- 2. Kontexte : Linz 1700 bis 1900 36
- 3. Wasser 75
- 4. Energie und Biomasse 109
- Omnipräsenz des Brennholzes 109
- Die langsame Transition zur fossilen Energie 118
- Pferde und Wasser : Erneuerbare Antriebsenergie 123
- Lebensmittel : Lokaler Bedarf und lokale Versorgung 127
- Dritter bis sechster »Kreis« : Lebensmittel aus dem Um- und Hinterland 137
- Modifikationen der Lebensmittelversorgung 141
- 5. Zirkulationen und Output 145
- 6. Fluviale und aquatische Räume 185
- 7. Geordnete und modifizierte Umwelt 205
- 8. Natur der Städter – Natur für Städter 232
- 9. Epidemie 253
- 10. Versorgungskrise 274
- 11. Naturgefahr 290
- 12. Logiken und Akteure des Existenten und des Wandels 324
- Literatur- und Quellenverzeichnis 332
- Archivalien und ungedruckte Quellen 332
- Datenbanken 333
- Periodika 333
- Gedruckte Quellen und Literatur 334
- Anhang 358
- Verzeichnis der Tabellen und Grafiken 358
- Abbildungsnachweis 359
- Währungen und Maßeinheiten 360
- Hinweise zu den kartographischen Darstellungen 362
- Abkürzungen 364