Seite - 22 - in Jemen - Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
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REISEBERICHT
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steingepflasterte Wege von den Eckpunkten und von
den Seitenmitten des Hofes auf das Zentrum zu ver-
fügt. Der Hof hat ein Format von 102 m mal 99 m.
Das Zentrum des Hofes wird von einem im 13. Jh. hin-
zugefügten Kuppelbau bestimmt, in dem sich Wasch-
möglichkeiten für die Gläubigen vor dem Gebet fin-
den. Die Waschstellen selbst dürften schon älter sein.
Umgeben ist der Hof von überdachten Seitenhallen
und der großen Gebetshalle mit der Kibla-Wand
und der Gebetsnische, der Mihrab. Die äußeren Ab-
messungen des Grundrisses belaufen sich auf etwa
177 m mal 174 m. Der Hof wie auch der gesamte
Baukomplex sind also fast quadratisch in ihrer Kon-
zeption.
Von der Spitze des Minaretts der Ibn-Tulun-Moschee
aus hat man einen außerordentlich guten Blick auf die
vielen aufragenden anderen Minarette und Kuppeln
von Sakralbauten und Grabmälern der Innenstadt
von Kairo. Gleich angeschlossen steht der große
Hofbau des College des Emir Sarghitmish mit seinen
Kuppeln und einem typischen Kairoer Minarett. Man
sieht von hier aus auch viele der Sekundär-Aufbauten
auf den älteren Stadthäusern. Diese nie bewilligten
oft mehrgeschoßigen provisorisch wirkenden Aufbau-
ten bilden heute fast eine Stadt über der Stadt.
In der unmittelbaren Umgebung der Ibn-Tulun-Mo-
schee stehen außerdem viele ältere Wohnbauten,
die vom Dach der Moschee aus betrachtet werden
können. Ein Blick auf die Balkone lohnt sich und er-
schließt einen Teil der individuellen Lebensweise der
Ägypter, die sich hier vielfältig entfaltet. Auf den
Balkonen werden Tauben gezüchtet, wird Wäsche
zum Trocknen aufgehängt; es wird gespielt und ge-
plaudert. Bei einem Balkon hatte der Bewohner eine
Fläche, so weit sein Arm reichte, seegrün angemalt;
diese Fläche schloss auch den Balkon mit ein. Mich
erinnerte das lebhaft an eines der künstlerischen
Manifeste von Friedensreich Hundertwasser, an das
“Fensterrecht”. Vielleicht reichten seine Auswirkungen
bis nach Kairo?
Nach Abschluss der Besichtigung ging es durch die
fatimidische Altstadt zur Sultan-Hassan-Moschee,
dem darin integrierten Mausoleum des Sultans und
der Medrese aus den Jahren 1356-1363. Die Mo-
schee selbst erinnert stark an das Konzept der persi-
schen Vier-Iwan-Moscheen. Man spürt hier deutlich
die starken gegenseitigen Einflüsse innerhalb der
islamischen Welt. Wir gingen weiter zur daneben-
stehenden Rifa-Moschee.
Bei beiden Sakralbauten sind viele der Bogenkonst-
ruktionen beachtenswert. Bei ihnen wurden die ein-
zelnen Bogensteinelemente aus natürlichem Gestein
Wir wollten aber ohnedies nicht reiten und fuhren
stattdessen mit dem wesentlich schnelleren, effektive-
ren und auch günstigeren Taxi, diesmal ins Zentrum
der Stadt Kairo. Der Verkehr war mörderisch dicht.
Es wurde gehupt, abgedrängt, gestaut. Da selbst die
Schnellstraßen zu ebener Erde nicht mehr ausreich-
ten, wurden inzwischen zweigeschoßige Hochstra-
ßen bis ins Zentrum zum Rande der Kairoer Altstadt
gebaut. Diese Schnellstraßen sind ziemlich starke Bar-
rieren für die Bewohner der Stadt. Mitten im dichten
Verkehrschaos liefen Kinder über die Schnellstraßen
um ihr Leben – es gab auch todesmutige Radfahrer,
Mopeds und manchmal sogar ein Pferdefuhrwerk.
Die Pferde dieser Fuhrwerke müssen mit den Schad-
stoffen aus den Abgasen bereits so vollgepumpt und
völlig vergiftet sein, dass sie entgegen ihrer Natur
gegen den Lärm und die Gefahren des Verkehrs völ-
lig abgestumpft und lethargisch geworden sind. Eine
Stadt von dieser Größe braucht ein ausgedehntes
U-Bahnnetz und andere effektive Massentransportmit-
tel. Ähnlich wie in Rom und Athen stehen dem Bau
von U-Bahnen allerdings die vielen archäologischen
Zonen in der Stadt entgegen. 1987 wurde eine erste
U-Bahnlinie eröffnet; inzwischen sind es mehr Linien
geworden. Die Stadt hatte bereits 1991 ein unglaub-
liches Wachstum hinter sich, ohne dass man erken-
nen konnte, dass entsprechende Maßnahmen gegen
einen weiter so rasanten Anstieg ergriffen wurden.
Schon 1991 reichte die Stadt bis unmittelbar an die
Pyramiden von Gizeh. Man kann nur hoffen, dass
dieses Weltkulturerbe der Menschheit nicht von der
Stadt noch völlig eingeschlossen wird. Die mächti-
gen Pyramiden brauchen wenigstens von einer Seite
aus gesehen die offene unverbaute Wüste im Hinter-
grund.
Wir ließen uns im Zentrum der Stadt – in den Resten
der fatimidischen Altstadt absetzen. Zunächst besuch-
ten wir die Ibn-Tulun-Moschee aus den Jahren 876
bis 879 n. Chr. Sie gehört zu den wirklich frühen
Moscheen in Kairo und verfügt über ein eigenartig
geschraubtes Minarett, das in seiner Form einzigartig
ist. Es gibt nur in Samarra im Irak zwei damit ver-
wandte Gegenstücke, die aber viel schlichter konzi-
piert sind. Das eine dort gehört zur großen Freitags-
moschee, das andere zur Abu-Dulaf-Moschee. Da
die große Moschee von Samarra etwa 20 Jahre älter
ist, dürfte deren Minarett als Vorbild gedient haben.
Die Abu-Dulaf-Moschee wurde von 860 bis 861 n.
Chr. errichtet und liegt damit im Alter auch noch vor
der Ibn-Tulun-Moschee.
Eindrucksvoll schlicht ist der riesige Hof dieser Mo-
schee, dessen Regelfläche bekiest ist und über breite
Jemen
Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Titel
- Jemen
- Untertitel
- Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Autor
- Hasso Hohmann
- Verlag
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-670-3
- Abmessungen
- 20.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 308
- Schlagwörter
- Vorderasien, arabische Halbinsel, Sanaa, Aden, Architektur
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkungen 7
- Einige Tage Ägypten 17
- Reise durch den Jemen 29
- Altstadt von Sanaa 33
- Kleidung von Männern und Frauen 42
- Die leichte Droge Kat 56
- Marib 60
- Die Salayman Ibn Dawud Moschee 73
- Säulen und ihre Kapitelle 74
- Flug ins Wadi Hadramaut 78
- Wasserhäuser 84
- Tarim 86
- Türen und ihre hölzernen Fallenschlösser 93
- Vergleich mit Türschlössern auf Tinos 100
- Mausoleum in Al Ghurfa 107
- Schibam 108
- Seiyun 124
- Auskragungen und Vorspanneffekte 133
- Hureida 139
- Hadjarein 142
- Chrecher 142
- Sif 144
- Bienenhaltung in Amphoren 152
- Al Mukalla 157
- Fahrt nach Aden 165
- Aden 168
- Taiz 175
- Saada 195
- Schahara 202
- Fahrt nach Sanaa 209
- Amran 209
- Thulla 213
- Kaukaban 218
- Kuchlan 224
- Al Qurazihah, ein Kral der Tihama 229
- Hodeida 233
- Zabid 236
- Hadjara 242
- Rauda 249
- Baynun 254
- Zurück entlang des Roten Meeres 268
- Siedlungsformen 273
- Bauformen 277
- Architekturdetails 287
- Apendix