Seite - 87 - in Jemen - Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
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REISE DURCH DEN JEMEN
87 maut weiter in die Heimat der Gastarbeiter trans-
portiert worden.
Das adaptierte kleine Hotel in Tarim entsprach nicht
ganz europÀischem Standard. Es gab Ungeziefer im
Zimmer, es war auch nicht sauber â weder das Bett-
zeug noch der Raum. Wir benutzten unseren dĂŒnnen
Leinenschlafsack und den ganz dĂŒnnen Schlafsack
als âAbstandhalterâ auf dem Bett. Das Hotel hatte
aber auch einen echten Luxus zu bieten, ein altes
Schwimmbecken, in das aus dem Untergrund sehr
klares, relativ kaltes Wasser gepumpt wurde, bevor
man es auf die Felder zur BewÀsserung weiterleitete.
Wahrscheinlich stammte das Becken schon aus dem
frĂŒhen 20. Jh.. Ich nahm zum Erstaunen von zwei
Touristengruppen, die auch im Hotel untergebracht
waren, hier ein Bad, das sehr erfrischend war.
Bei einer anschlieĂenden Besichtigungsrunde fanden
wir noch eine ganze Reihe Àhnlicher, zum Teil noch
wesentlich gröĂerer PalĂ€ste aus dem 19. Jh., die fast
alle nicht mehr bewohnt wurden und sich leider meist
bereits in fortgeschrittenem Zerfallsstadium befanden.
Bei den meisten fanden sich ebenfalls Schwimmbe-
cken in den Hofbereichen, wahrscheinlich auch eine
europÀische Idee aus Java, wo es oft genug regnet,
die als Statussymbol fĂŒr Luxus auch in das dafĂŒr viel
zu trockene Wadi Hadramaut mitgenommen wurde.
Grund fĂŒr diese fremdartige Architektursprache samt
Ausstattung der Bauten war eine starke Arbeitslosig-
keit im 19. Jh. im Jemen, die dazu fĂŒhrte, dass Je-
meniten das Land verlieĂen und auf dem Seeweg
ins ferne Indonesien auswanderten, um in Java Arbeit
zu finden. Auf Java lernten sie die Architektur der
Kolonialherren, der HollÀnder, kennen. Als die zum
Teil wohlhabend gewordenen Jemeniten spÀter ins
Wadi Hadramaut zurĂŒckkehrten, brachten sie Geld,
Ideen und die Formensprache dieser europÀischen
Kolonialbauten mit. Es war quasi eine Art doppelter
Kulturtransfer.
ĂuĂerlich sind diese PalĂ€ste eine Mischung tradi-
tioneller jemenitischer Bautradition mit getrockneten
Lehmziegeln und europĂ€ischer GroĂform mit prĂ€ch-
tigen, zum Teil kannelĂŒrten SĂ€ulen und riesigen
Risaliten mit griechischem Portikus und manieriert
gestalteten Giebelfeldern sowie der typischen Or-
namentik des Historismus. Innen waren sie in den
PrunkrÀumen mit WandgemÀlden dekoriert, die di-
rekt auf die Lehmwand aufgemalt wurden und einen
aus dem Lehm herausmodellierten neubarocken, mit
Goldbronze angemalten Rahmen erhielten. Die Ge-
mÀlde zeigten oft schneebedeckte Berge aus den
Alpen. In manchen PalÀsten waren sehr geschickt
ganze Gobelins auf die aus Lehm bestehenden
PalastwÀnde innen aufgemalt. Auch der Deckende-
kor ist eine Mischung von Stilen wie sie typisch fĂŒr
die Zeit des Historismus sind. Das PhÀnomen eines
doppelten Kulturtransfers ist in diesem Umfeld mehr
als erstaunlich. Auch die Perfektion, mit der dieser
Transfer umgesetzt wurde, fasziniert. ZunÀchst wa-
ren Bauformen und Ausstattung durch die Kolonial-
herren aus Holland nach Java in Indonesien gelangt
und dann von den jemenitischen âFremdarbeiternâ
aus Indonesien in den Jemen bis ins Wadi Hadra-
Abb. 88
Unser Hotel in Tarim war der
ehemalige Palast eines Imams
aus der Zeit knapp nach 1900.
Die historistische Bauform ge-
langte ĂŒber die HollĂ€nder als
Kolonialarchitektur zunÀchst
nach Java. Von dort nahmen
sie dann die Fremdarbeiter aus
dem Jemen bei ihrer Heimkehr
mit ins Wadi Hadramaut. Das
kann man als eine Art doppel-
ten Kulturtransfer betrachten.
Folgende Doppelseite:
Abb. 89
Die Stadt Tarim von einem Seitenhang des Wa-
dis aus gesehen. Deutlich sind die zwei extrem
hoch herausragenden weiĂen Minarette aus
dem Anfang des 20. Jh. zu erkennen. Dazwi-
schen sieht man im Hintergrund eine der Festun-
gen mit Patio und vier runden EcktĂŒrmen.
Jemen
Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Titel
- Jemen
- Untertitel
- Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Autor
- Hasso Hohmann
- Verlag
- Verlag der Technischen UniversitÀt Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-670-3
- Abmessungen
- 20.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 308
- Schlagwörter
- Vorderasien, arabische Halbinsel, Sanaa, Aden, Architektur
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkungen 7
- Einige Tage Ăgypten 17
- Reise durch den Jemen 29
- Altstadt von Sanaa 33
- Kleidung von MĂ€nnern und Frauen 42
- Die leichte Droge Kat 56
- Marib 60
- Die Salayman Ibn Dawud Moschee 73
- SĂ€ulen und ihre Kapitelle 74
- Flug ins Wadi Hadramaut 78
- WasserhÀuser 84
- Tarim 86
- TĂŒren und ihre hölzernen Fallenschlösser 93
- Vergleich mit TĂŒrschlössern auf Tinos 100
- Mausoleum in Al Ghurfa 107
- Schibam 108
- Seiyun 124
- Auskragungen und Vorspanneffekte 133
- Hureida 139
- Hadjarein 142
- Chrecher 142
- Sif 144
- Bienenhaltung in Amphoren 152
- Al Mukalla 157
- Fahrt nach Aden 165
- Aden 168
- Taiz 175
- Saada 195
- Schahara 202
- Fahrt nach Sanaa 209
- Amran 209
- Thulla 213
- Kaukaban 218
- Kuchlan 224
- Al Qurazihah, ein Kral der Tihama 229
- Hodeida 233
- Zabid 236
- Hadjara 242
- Rauda 249
- Baynun 254
- ZurĂŒck entlang des Roten Meeres 268
- Siedlungsformen 273
- Bauformen 277
- Architekturdetails 287
- Apendix