Seite - 203 - in Jemen - Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
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REISE DURCH DEN JEMEN
203 Inzwischen begann sich das Wetter weiter zu ver-
schlechtern. Die Wolken wurden immer dichter und
dunkler. In der Ferne konnte man bereits an mehreren
Stellen lange Regenfahnen von tiefhängenden Wol-
ken niedergehen sehen. Also beeilten wir uns weiter
zu kommen. Immer wieder beobachteten wir kleinere
Zisternen, die in den Felsen gehauen waren. Was-
ser sammeln war hier sicher für die Landwirtschaft
mindestens so wichtig wie für die Bevölkerung. Es
war ein relativ langer und in manchen Streckenab-
schnitten steiler Aufstieg. Wir brauchten mit Rucksack
länger, als erwartet und Adele hatte angesichts ihrer
gesundheitlichen Angeschlagenheit auch Probleme
mit ihrer Kondition. Ich sah mir schon Felsspalten am
Wegesrand an, in denen wir vielleicht notdürftig
übernachten oder uns zumindest gegen den drohen-
den Regen schützen und aufhalten könnten.
Über eine lange Strecke gingen wir unterhalb einer
fast senkrecht aufsteigenden Felswand auf der rech-
ten Seite. Dabei ging es stetig hinauf. Links konnte
man bald weit ins Tal hinuntersehen. Man erkann-
te deutlich, dass die Berghänge über weite Zonen
durchgehend mit tausenden von Feldterrassen über-
zogen sind. Sie geben der Landschaft die Form eines
Geländemodells, bei dem die Höhenschichtenlinien
aus Karton ausgeschnitten und aufeinander geklebt
wurden. Wir sahen auch jeweils, wie weit wir schon
hinaufgestiegen waren. Bald hatten wir bereits eine
unglaubliche Fernsicht. Wir sahen kleine und größe-
re Dörfer bis in großer Entfernung in der zerklüfteten
Landschaft. Beim Blick hinauf wurde manchmal auch
ein Stück von Schahara selbst sichtbar. Es lag aber im-
mer noch hoch, fast unerreichbar über uns. Es wurde
schon beunruhigend dunkel, als der Weg seitwärts in
eine noch dunklere enge Schlucht nach rechts abbog.
des Bergabhanges, obwohl hier eigentlich kaum ein
Weg zu erkennen war.
Einige der Steinbauten haben hier sehr aufwendigen
Dekor, der durch die Verwendung von schwarzen,
roten und braunen Natursteinen zu gemauerten Mus-
tern entstanden war. Zusätzlich waren noch ober-
flächlich weitere Farben aufgetragen worden, die
meist die sorgfältig geformten Steinformate des Hau-
ses berücksichtigen und so ein sehr harmonisches
Bild ergeben.
Ganz im Gegensatz dazu ging von den Feldarbei-
tern, Frauen, Männern und Kindern hier eine eigen-
artig aggressive Stimmung aus. Vielleicht hing diese
mit dem aufziehenden schlechten Wetter zusammen?
Eine böse dreinblickende alte Frau verlangte unbe-
dingt “galam”, Kugelschreiber. Andere Feldarbeiter
wollten uns wieder zurück auf die neue Straße schi-
cken. Wieder andere aber zeigten in eine bestimmte
Richtung diagonal über die nahen Feldterrassen hin-
auf. Es gab einige Bäume, in denen Kinder saßen,
um Äste abzubrechen, die sie als Futter für die Tiere
herab warfen. Die Blätter der Äste waren vor allem
für die Ziegen offenbar eine Delikatesse. Auf den
Feldern wurde neben anderem Kat geerntet. Einige
Kinder warfen mit Steinen nach uns und auch nach
anderen Personen. Aus dem Bergmassiv von Schaha-
ra hörte man ständig Schüsse. Offenbar wurde auch
vom Tal aus zurückgeschoßen. Bei so viel negativer
Stimmung und Aggression hatten wir schon den Ver-
dacht, die Leute wollten uns auf einen falschen Weg
schicken. Dann aber stellten wir fest, dass wir zu
einem besseren Weg kamen, der von unten kaum zu
erkennen war und wirklich nach oben führte. Unser
Argwohn war unberechtigt.
Abb. 224
Die alte Wehranlage von Scha-
hara bestand einst aus einem
mehrgeschoßigen Torbau-
werk in einer engen Schlucht,
das die volle Breite ausfüllt.
Im Torbau gelangt man über
zahlreiche Treppen und Stock-
werke zum hinteren höheren
Abschnitt der Schlucht. Durch
Versperrung und Sicherung
dieses Torbauwerks konnte der
Zugang nach Schahara blo-
ckiert werden. Dieser Aufgang
wurde im Januar 1992 nicht
mehr benutzt, kaum noch be-
gangen und war bereits dem
Verfall ausgesetzt.
Jemen
Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Titel
- Jemen
- Untertitel
- Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Autor
- Hasso Hohmann
- Verlag
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-670-3
- Abmessungen
- 20.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 308
- Schlagwörter
- Vorderasien, arabische Halbinsel, Sanaa, Aden, Architektur
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkungen 7
- Einige Tage Ägypten 17
- Reise durch den Jemen 29
- Altstadt von Sanaa 33
- Kleidung von Männern und Frauen 42
- Die leichte Droge Kat 56
- Marib 60
- Die Salayman Ibn Dawud Moschee 73
- Säulen und ihre Kapitelle 74
- Flug ins Wadi Hadramaut 78
- Wasserhäuser 84
- Tarim 86
- Türen und ihre hölzernen Fallenschlösser 93
- Vergleich mit Türschlössern auf Tinos 100
- Mausoleum in Al Ghurfa 107
- Schibam 108
- Seiyun 124
- Auskragungen und Vorspanneffekte 133
- Hureida 139
- Hadjarein 142
- Chrecher 142
- Sif 144
- Bienenhaltung in Amphoren 152
- Al Mukalla 157
- Fahrt nach Aden 165
- Aden 168
- Taiz 175
- Saada 195
- Schahara 202
- Fahrt nach Sanaa 209
- Amran 209
- Thulla 213
- Kaukaban 218
- Kuchlan 224
- Al Qurazihah, ein Kral der Tihama 229
- Hodeida 233
- Zabid 236
- Hadjara 242
- Rauda 249
- Baynun 254
- Zurück entlang des Roten Meeres 268
- Siedlungsformen 273
- Bauformen 277
- Architekturdetails 287
- Apendix