Seite - 259 - in Jemen - Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
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REISE DURCH DEN JEMEN
259 fes eingeladen worden war und dies offenbar vom
oberen Dorf aus beobachtet worden war. Nachdem
ich nun aber quasi unter dem Schutz des unteren Dor-
fes und seines Bürgermeisters stand, fühlte man sich
dort auch verpflichtet, mir bei meinem Vorhaben zu
helfen.
Nach der Rückkehr mit “meiner” kleinen Streitmacht
im unteren Dorf ging es gleich weiter zu meinem ei-
gentlichen Hauptziel in Baynun, zum antiken Tunnel,
der früher einmal in himiaritischer Zeit Wasser aus ei-
nem wasserreicheren Paralleltal im Osten unter einem
Bergrücken in das fruchtbarere, aber wasserärmere
Tal von Baynun geleitet hat. Eingemeißelte Inschriften
beim östlichen Beginn und Einlauf des Tunnels geben
Auskunft über seine Funktion und den Auftraggeber.
Eine Inschrift wurde mittig über dem Einlauf und zwei
weitere auf beiden Seiten oben unter der Decke des
Tunnels eingemeißelt.
Zunächst kamen etliche meiner Begleiter samt Bür-
germeister und Fahrer mit. Später wurde die Gruppe
kleiner. Wir mussten über einen steilen Weg hinauf
zum Niveau des Tunnels steigen. Dann folgte der bis
auf geschätzte 25 m ansteigende Schlitz, bevor der
eigentliche Tunnel erreicht wurde. Im Tunnel waren es
nur mehr der Fahrer und zwei der jungen Burschen.
Hier verließ mich auch mein Fahrer und stieg zum Bür-
germeister wieder hinunter. So gingen wir nur noch
zu dritt bis ins nächste Tal. Der Fuß des Tunnels liegt
beim Auslauf mit mehr als 8 m deutlich höher als der
Talboden von Baynun. Es muss hier früher noch einen
Wasserbehälter und ein Verteilerbauwerk gegeben
haben, von dem aus das Wasser mit entsprechen-
dem Gefälle auf die Felder fließen konnte. Von bei-
dem hatte sich aber nichts mehr erhalten.
Zone nahe der höchsten Erhebung. Es gibt Berichte,
nach denen Baynun zeitweise auch die Hauptstadt
des himiaritischen Reiches ab dem 3. Jh. war, bis es
wohl 525 n. Chr. von den Axumiten aus Äthiopien
erobert und zerstört wurde (Wald 1980:77). Die
Steine liegen allerdings in weiten Teilen des Ruinen-
feldes so gleichmäßig durcheinandergeworfen, dass
bei mir der Eindruck entstand, dass dies nicht allein
das Werk von feindlichen Auseinandersetzungen
und Zerstörungen gewesen sein dürfte.
Es gibt nur sehr wenige aufrechtstehende Wände
von einstigen Gebäuden. Auch von dem großen Kö-
nigspalast in Baynun zeichnete sich kaum etwas im
Schutt Erkennbares ab. Ich vermute daher, dass die
Reste der Stadt nach ihrer Eroberung zusätzlich durch
mindestens ein sehr heftiges Erdbeben in diesen Zu-
stand gebracht wurden. Nach etwa einer guten hal-
ben Stunde Besichtigung des Ruinenfeldes, das sich
weit über den Berghang erstreckt und in dem bis
1992 wohl kaum ein Archäologe gegraben hatte,
gab mir der Fahrer durch Pfeifen, Rufen und Winken
zu verstehen, dass ich zurückkommen sollte. Das war
sehr verständlich, da ja außer ihm auch noch meine
kleine Privatarmee auf mich wartete.
Einen kleinen Steinblock mit einer aus nur vier Zeichen
bestehenden kurzen Inschrift, der als Spolie in einen
neuzeitlichen Rundbogen auf den Kopf gestellt einge-
mauert worden war, hatte ich in meine Innenhandflä-
che abgezeichnet. Ich übertrug die Zeichnung später
in mein Notizheft. Die Inschrift dürfte im 1. bis 3. Jh.
n. Chr. in den Stein gemeißelt worden sein. Dafür
scheint die Form des Buchstaben für “w” zu sprechen,
der gewöhnlich in frühen Inschriften aus einem Kreis
besteht, der durch eine vertikale Linie mittig geteilt
wird. Mit der Zeit hat sich dann der Kreis mit allen
Übergangsformen immer weiter bis zu zwei kleineren,
nebeneinanderliegenden, sich tangierenden Kreisen
oder Ovalen entwickelt. Die hier verwendete Varian-
te des Buchstabens sieht aus, wie zwei aneinander
gelegte Zellen mit vertikaler Scheidewand, ein rela-
tiv frühes Stadium dieses Buchstabens. Die Inschrift
stammt also aus einer Zeit vor der “Zellteilung” des
Buchstabens und daher vielleicht noch aus spät-sa-
bäischer, anderenfalls aus früh-himiaritischer Zeit.
Später fertigte ich außerdem auch noch eine Lage-
skizze des Ruinenfeldes im Kontext mit dem Dorf aus
der Erinnerung an. Die Ruinen sind offenbar die Reste
einer relativ dicht verbauten antiken Stadt.
Der Grund für meine Probleme bei der Besichtigung
der Ruinen von Baynun kam wohl daher, dass das
untere und das obere Dorf in ständigem Streit mitein-
ander leben, ich beim Bürgermeister des unteren Dor- Abb. 292
Ein Torbogen am unteren Ende der Ruinen von
Baynun mit einer Spolie.
Abb. 293
Der Inschriftenstein im Torbogen wurde auf den
Kopf gestellt eingemauert.
Jemen
Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Titel
- Jemen
- Untertitel
- Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Autor
- Hasso Hohmann
- Verlag
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-670-3
- Abmessungen
- 20.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 308
- Schlagwörter
- Vorderasien, arabische Halbinsel, Sanaa, Aden, Architektur
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkungen 7
- Einige Tage Ägypten 17
- Reise durch den Jemen 29
- Altstadt von Sanaa 33
- Kleidung von Männern und Frauen 42
- Die leichte Droge Kat 56
- Marib 60
- Die Salayman Ibn Dawud Moschee 73
- Säulen und ihre Kapitelle 74
- Flug ins Wadi Hadramaut 78
- Wasserhäuser 84
- Tarim 86
- Türen und ihre hölzernen Fallenschlösser 93
- Vergleich mit Türschlössern auf Tinos 100
- Mausoleum in Al Ghurfa 107
- Schibam 108
- Seiyun 124
- Auskragungen und Vorspanneffekte 133
- Hureida 139
- Hadjarein 142
- Chrecher 142
- Sif 144
- Bienenhaltung in Amphoren 152
- Al Mukalla 157
- Fahrt nach Aden 165
- Aden 168
- Taiz 175
- Saada 195
- Schahara 202
- Fahrt nach Sanaa 209
- Amran 209
- Thulla 213
- Kaukaban 218
- Kuchlan 224
- Al Qurazihah, ein Kral der Tihama 229
- Hodeida 233
- Zabid 236
- Hadjara 242
- Rauda 249
- Baynun 254
- Zurück entlang des Roten Meeres 268
- Siedlungsformen 273
- Bauformen 277
- Architekturdetails 287
- Apendix