Seite - 20 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Literatur- und Kulturjournalist für das Salzburger Demokratische Volksblatt
gearbeitet und dabei eine Vielzahl heute kaum mehr bekannter Artikel verfasst
(s. Kap. VI); ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung von Frost im Jahr 1963 –
seine noch deutlich konventionelleren Gedichtbände hatten 1957/1958 wenig
Beachtung gefunden
– stand er selbst im Fokus literaturkritischer Debatten, die
mitunter heftig und emotional geführt wurden:
Und irgendwie ist das Buch erschienen und auch Kritiken. Aber sonst befriedigt es
einen ja nicht, denn die eine widerspricht der anderen, und letzten Endes durchschaut
man ja als halbwegs intelligenter Mensch auch schon, was das für Geisteskinder sind.
Weil da im Grunde nichts dahinter ist und lange Kritiken nicht einen Satz beinhalten,
der den Rezensenten persönlich wirklich betrifft, wo man das Gefühl hat, der hat
das wirklich mit Interesse gelesen. Das wird ja alles nur geschäfts mäßig aufgefaßt,
der bespricht das und fertig. Das ist für den so ein ganz primitives, lebenserhalten-
des, familienerhaltendes G’schäft. Und dann sitzt man da, mit diesen Kritiken und
dem Buch, und weiß auch nimmer, wie ist das Buch, ist es überhaupt was oder so
und so weiter.36
Der Bereich der literarischen Produktion ist in Bernhards Selbstauskünften
eng mit jenem der literaturkritischen Rezeption verknüpft. Er hat wiederholt
darauf insistiert, dass seine Arbeiten meist „völlig abgelehnt“ 37 worden seien,
diese Ablehnung aber zugleich als Motor der eigenen Kreativität beschrieben
und in seinen Prosa- und Theatertexten die „Situation des Künstlers in einer
verständnislosen Umwelt“ 38 erzählerisch und dramaturgisch ausgestaltet; in Der
Ignorant und der Wahnsinnige (1972) und Minetti (1976) hat er gar Figuren beim
Lesen von Theaterkritiken auf die Bühne gestellt (s. Kap. III). Gleichwohl sah
sich Bernhard – ebenso wie Handke – mit dem Vorwurf konfrontiert, von der
Literaturkritik allzu freundlich behandelt zu werden, zumal er mit seiner Pro-
vokationsästhetik und seinen öffentlichkeitswirksamen Rundumschlägen die
mediale Erwartungshaltung oftmals nicht irritiert, sondern nachgerade erfüllt
habe. Peter Rühmkorf, der ihm nicht eben wohlgesonnen war, hat in seinen Tage-
büchern das „zum Fußaufstampfen ständig bereite[
] Drohverhalten“ Bernhards
36 Kurt Hofmann: Aus Gesprächen mit Thomas Bernhard. Wien: Löcker 1988, S. 49 f. Gegen
die Publikation dieses Bandes hat Bernhard Einspruch erhoben, weil es sich „um zusammen-
montierte Bruchstücke aus einer Reihe von älteren Radio-Interviews“ handelte, die er in dieser
Form nicht schriftlich publiziert sehen wollte; von einem Gerichtsverfahren sah der gesund-
heitlich schon schwer angeschlagene Autor im Herbst 1988 jedoch ab (Andreas Razumovsky:
Mist, Most. Bernhard gegen Löcker. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. 11. 1988).
37 Hofmann: Aus Gesprächen mit Thomas Bernhard (Anm. 36), S. 48.
38 Willi Huntemann: Artistik und Rollenspiel. Das System Thomas Bernhard. Würzburg: Königs-
hausen & Neumann 1990, S. 27.
„Schreiben ist ein Fünfkampf“: Eine Art
Einleitung20
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
- II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- Einsprüche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
- „Über diesen Roman wären nicht so viele böse Worte zu verlieren …“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, Verbündete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche Schwätzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
- „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der Bühne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der Dürre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als ‚leeres Geschäft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚Natürlichkeit‘ 150
- Die „ästhetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses Unglück) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshändige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- Schnüffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der Lektüre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut Färber 246
- „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- „wirklich unorthodox“: Handke über/mit Ödön von Horváth 259
- Keine Axt für das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- „Kanzlist, Kofferträger und Kunstkritiker“ 289
- „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
- „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
- „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekärer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471