Seite - 24 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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VerstĂ€ndnis aufzufassenâ,56 wĂ€hrend auf eine Gesamtschau der kritischen Posi-
tionen zu den beiden Autoren und eine umfassende Rekonstruktion sÀmtlicher
Konflikte mit der Literaturkritik bewusst verzichtet wird. Zudem bin ich mir
mit dem Wiener Essayisten Franz Schuh darĂŒber im Klaren, âdaĂ das Thema
âLiteraturkritikâ ZĂŒge von Unerschöpflichkeit hat und daĂ ich daher in meinen
bescheidenen schöpferischen AusfĂŒhrungen nur einige Punkte berĂŒhren, einige
Spots auf eine ohnedies ĂŒberbelichtete Branche werfen kannâ.57
âJa, Schreiben ist ein FĂŒnfkampfâ, hat Handke 2010 im Band Ein Jahr aus der
Nacht gesprochen festhalten, ohne diese âAufwachnotizâ nĂ€her zu erlĂ€utern;58 in
ihr deutet sich an, dass der Benjaminâsche âStratege im Literaturkampfâ, zumal
unter den medialen Bedingungen der Gegenwart, mit einer Vielzahl publizis-
tischer Techniken und generischer Formen hantieren muss, um seine Position im
literarischen Feld zu definieren und von konkurrierenden Akteuren abzugren-
zen.59 Im Gegensatz zu verdienstvollen Arbeiten wie jener von Gerhard Pfister,
der am Beispiel einzelner Publikationen Handkes akribisch deren Rezeption
rekonstruiert und analysiert hat,60 möchte ich die Perspektive erweitern, um die
Auseinandersetzung mit der Literaturkritik als einen zentralen Aspekt aukto-
rialer âWerkpolitikâ zu beschreiben. Wenn Steffen Martus in seiner wegweisen-
den Studie âWerkpolitikâ nicht zuletzt als eine Form der âAushandlung[Â ] von
MĂ€chtigkeitâ charakterisiert,61 so gerĂ€t damit ein vielstimmiges Ensemble von
Genres und Praktiken in den Fokus, die an der Durchsetzung und Positionierung
einer dezidiert neuen Schreibweise im literarischen Feld mitwirken. Bernhard
und Handke haben auf je charakteristische Weise hervorgehoben, dass und auf
welche Weise sich ihre Vorstellung von Literatur sowohl von den VorlÀufern als
auch von ihren unmittelbaren Konkurrenten im literarischen Feld unterschei-
det; er schreibe, so Bernhard 1976 mit Blick auf seine Arbeiten fĂŒr das Theater,
ânicht, wie normale Leutâ StĂŒcke schreibenâ (TBW 22.2, 84).
56 Ebd., S. 96.
57 Schuh: All you need is love (Anm. 4), S. 41.
58 Peter Handke: Ein Jahr aus der Nacht gesprochen. Salzburg, Wien: Jung und Jung 2010, S.Â
215.
59 Einen ersten Versuch, dieses komplexe Zusammenspiel zu beschreiben, habe ich, mit Blick auf
GĂ©rard Genettes Konzept des Para-, Epi- und Peritextes, im folgenden Aufsatz unternommen:
Peter Handkes epitextuelle Werkpolitik. In: Paratextuelle Politik und Praxis. Interdependen-
zen von Werk und Autorschaft. Hg. v. Martin GerstenbrÀun-Krug u. Nadja Reinhard. Wien:
Böhlau 2018, S. 271 â 292.
60 Vgl. Gerhard Pfister: Handkes Mitspieler. Die literarische Kritik zu Der kurze Brief zum langen
Abschied, Langsame Heimkehr, Das Spiel vom Fragen, Versuch ĂŒber die MĂŒdigkeit. Bern u. a.:
Lang 2000.
61 Steffen Martus: Werkpolitik. Zur Literaturgeschichte kritischer Kommunikation vom 17. bis
ins 20. Jahrhundert. Mit Studien zu Klopstock, Tieck, Goethe und George. Berlin, New York:
de Gruyter 2007, S. 13.
âSchreiben ist ein FĂŒnfkampfâ: Eine Art
Einleitung24
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471