Seite - 29 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Kulturbetriebs auch und im Besonderen als Bestreben, Deutungen ĂŒber den
âWertâ und âUnwertâ kultureller Produkte durchzusetzen â und damit den
Sprecher oder Schreiber selbst als reliable Beurteilungsinstanz zu positionie-
ren â, gerĂ€t ein solches Agieren fast zwangslĂ€ufig in Konflikt mit jenen Insti-
tutionen, âdie literarische Texte, Autoren und andere PhĂ€nomene der Literatur
kommentier[en] und bewerte[n]â.11
Diese Konstellation ist etwa auch in Thomas Bernhards 1984 erschienener
Abrechnung mit dem Literatur- und Kulturbetrieb Ăsterreichs, HolzfĂ€llen. Eine
Erregung, zu beobachten. Der in sicherer Distanz zu den anderen GĂ€sten in
einem Ohrensessel postierte ErzÀhler unterscheidet zunÀchst mit souverÀner
Geste zwischen âKĂŒnstlerâ und âNichtkĂŒnstlerâ, um im nĂ€chsten Atemzug zu
beschreiben, wie er reagiere, wenn er âheute einen sogenannten bedeutenden
oder berĂŒhmten Namen in der Zeitung leseâ (TBW 7, 84). Der Bezug der per-
sönlichen Unterscheidung zwischen âKunstâ und âNicht-Kunstâ zu dem seiner
Meinung nach verfehlten Klassifizierungsauftrag der Presse ist evident. Immer
wieder wird in HolzfĂ€llen der Kontrast zwischen der âDistinktions- und Klassi-
fikationswutâ 12 des ErzĂ€hlers und der WertschĂ€tzung, die den attackierten Per-
sonen im Literatur- und Kulturbetrieb entgegengebracht wird, deutlich. Seine
Angriffe richten sich nicht nur gegen die NĂ€he der Kulturschaffenden zum Feld
der MachtÂ
â âverabscheuungswĂŒrdige Staatsanbiederungskunstâ, âAnbiederung
an den Staatsapparatâ, âStaatspfrĂŒndnerexistenzenâ (TBW 7, 157 f.)Â â, sondern
eben auch gegen eine fatale Allianz von Kunst und Journalismus; eine âkleine
positive Zeitungsbesprechungâ oder âein paar dumme lobende ErwĂ€hnungenâ
(TBW 7, 63) hÀtten bei vielen, die er im Laufe des Abends polemisch ins Visier
nimmt, zur unproduktiven Selbstzufriedenheit gefĂŒhrt. Ingeborg Bachmanns
Bemerkung in einem Essayfragment zu Thomas Bernhards Literatur, wonach
das âUnglĂŒck der Kritikâ womöglich darin bestehe, âdaĂ ihr jedes GefĂŒhl fĂŒr
Rang fehltâ,13 hĂ€tte Bernhard wohl vorbehaltlos unterschrieben.
Auf die skizzierte doppelte Adressierung deutet auch eine Bemerkung in
Pierre Bourdieus Die Regeln der Kunst hin: Der Soziologe beschreibt die âKon-
kurrenzkĂ€mpfeâ um das âMonopol literarischer LegitimitĂ€tâ nicht bloĂ als Ver-
handlungen darĂŒber, âwer Schriftsteller istâ, sondern auch ĂŒber die heikle Frage,
11 Herbert Jaumann: Literaturkritik. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neu-
bearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Bd. II: HâO. Hg. v. Harald
Fricke. Berlin, New York: de Gruyter 2007, S. 463 â 468, hier S. 463.
12 Karl Wagner: HolzfĂ€llen als Selbstdemontage. Eine LektĂŒre nach den Skandalen. In: Thomas
Bernhard. Persiflage und Subversion. Hg. v. Mireille Tabah u. Manfred Mittermayer. WĂŒrzburg:
Königshausen & Neumann 2013, S. 107 â 117, hier S. 113.
13 Ingeborg Bachmann: Watten und andere Prosa (ĂŒber Thomas Bernhard). In: I. B.: Kritische
Schriften. Hg. v. Monika Albrecht u. Dirk Göttsche. MĂŒnchen, ZĂŒrich: Piper 2005, S.Â
453 â 457,
hier S. 455. Legitimationen und Strategien 29
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471