Seite - 31 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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jeweils als âLiteraturâ giltâ.18 Wenn nun die Rezension von Handkes DebĂŒtroman
Die Hornissen (1966) in der SaarbrĂŒcker Zeitung demonstrativ mit dem Titel
Was man heute Literatur nennt ĂŒberschrieben ist, kann dies als anschauliches
Beispiel dafĂŒr gelten, dass in der literaturkritischen Wertung â zumal bei der
Etablierung innovativer ErzĂ€hlverfahren â nicht nur die QualitĂ€t eines Textes
innerhalb des Literatursystems auf dem Spiel steht, sondern auch der Zutritt zu
jenem Bereich, der sich ĂŒberhaupt âLiteraturâ nennen darf.19 Als entscheidenden
Aspekt fĂŒr die Aushandlung âliterarischer LegitimitĂ€tâ hat Bourdieu in diesem
Zusammenhang das âMonopolâ beschrieben, âmit Fug und Recht sagen zu kön-
nen, wer sich ĂŒberhaupt Autor nennen darfâÂ
â d. h. auch: wessen Texte ĂŒberhaupt
als âLiteraturâ gelten dĂŒrfen.20 Dass Autorinnen und Autoren solch apodiktische
Bestimmungen ĂŒber die Frage, welche Texte zum jeweiligen Zeitpunkt den Status
eines âliterarischen Kunstwerksâ fĂŒr sich beanspruchen können, oft nicht kom-
mentarlos hinnehmen und stattdessen Rolle und Funktion der journalistischen
gate keeper selbst kritisch hinterfragen, ĂŒberrascht kaum.
Wiederholt hat Handke ein demonstratives âNein zu Handkeâ 21 vonseiten der
Literaturkritik mit einem selbstbewussten âNein zu dieser Kritikâ beantwortet und
seine Gegner bei verschiedenen Gelegenheiten als âTrupp gravitĂ€tisch-nichtsnut-
ziger Barbarenâ 22 oder als bloĂe âĂffentlichkeitsagentenâ 23 bezeichnet. Die Fron-
ten dieser Auseinandersetzung zwischen Autor und Feuilleton werden im Zuge
der vorliegenden Arbeit anhand exemplarischer Konstellationen rekonstruiert.
18 Jaumann: Literaturkritik (Anm.Â
11), S.Â
463; zur Definition von âLiteraturkritikâ vgl. auch Brigitte
Schwens-Harrant: Literaturkritik. Eine Suche. Innsbruck u. a.: StudienVerlag 2008, S. 49 â 56.
19 Dieter Hasselblatt: Was man heute Literatur nennt. In: SaarbrĂŒcker Zeitung, 9./10. 7. 1966. Zwar
ist der Rezensent, mit Verweis auf Goethes Aufsatz Literarischer Sansculottismus (1795), der
Ăberzeugung, âdaĂ einem einzelnen Opus nicht die Gesamtanlage einer Literatursituation
angelastet werden dĂŒrfeâ, er dekretiert jedoch gleichzeitig im Namen einer normativen Gat-
tungspoetik: âWas Handke schreibt, ist kein Roman.â (Ebd.)Â
â Vgl. als Beispiel eines Ă€hnlichen
Verfahrens eine Besprechung von Handkes zweitem Roman Der Hausierer, die ebenfalls bereits
im Titel ihre StoĂrichtung offenlegt, durch Wolfgang IgnĂ©e: Handkes Nicht-Buch. In: Christ
und Welt, 10. 10. 1967.
20 Pierre Bourdieu: Das literarische Feld. Kritische Vorbemerkungen und methodologische
GrundsĂ€tze. In: P. B.: Kunst und Kultur. Kunst und kĂŒnstlerisches Feld (Anm. 5), S. 309 â 337,
hier S. 329 f.
21 So der Titel einer weiteren Rezension zu Handkes DebĂŒtroman: JĂŒrgen LĂŒtge: Nein zu Handke.
In: MĂŒnchner Merkur, 9. 7. 1966.
22 Peter Handke: Einwenden und Hochhalten. Rede auf Gustav JanuĆĄ. [1984] In: P. H.: Langsam im
Schatten. Gesammelte Verzettelungen. 1980 â 1992. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992, S.Â
125 â 135,
hier S. 128.
23 Peter Handke: Wie ein Letzter ein Erster; Lob eines âKritikersâ. Zu Helmut FĂ€rber. [1994] In:
P. H.: MĂŒndliches und Schriftliches. Zu BĂŒchern, Bildern und Filmen. 1992 â 2002. Frankfurt
a. M.: Suhrkamp 2002, S. 39 â 65, hier S. 45. Legitimationen und Strategien 31
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471