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Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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einer ‚Kritik der Kritik‘. Legionen von Autorinnen und Autoren haben sich ihr auf die eine oder andere Weise und mit wechselnder Vehemenz angeschlossen. Thomas Bernhard und Peter Handke sind nicht nur in konkreten Einzel- fĂ€llen als AnwĂ€lte und Verteidiger ihrer Veröffentlichungen aufgetreten, sondern haben darĂŒber hinaus grundlegende EinwĂ€nde gegen das ‚Handwerk‘ der Kriti- kerzunft im Allgemeinen artikuliert. Wiederholt beklagten die beiden Autoren die uninspirierte und unsensible Rezeption ihrer BĂŒcher im deutschsprachigen Feuilleton: „Schauen Sie sich die Leute an, die drĂŒber schreiben“, rĂ€t Bernhard 1986 dem Journalisten Werner Wögerbauer, um dann aus seiner Antipathie keinen Hehl zu machen und ein physiognomisches Zerrbild der „primitive[n]“ Kritiker zu entwerfen: Das sind nur ordinĂ€re, primitive Kasperln, geschmacklose außerdem, die keine Ahnung von dem haben, was sie beschreiben und lesen. Keine Ahnung, mit was sie eigentlich umgehen. Wenn’s heiß wird, ziehn s’ den Rock aus, sitzen mit dicken BĂ€u- chen und HosentrĂ€gern verschwitzt da, sind ganz vulgĂ€r, saufen eine Flasche nach der andern, net, verbrĂŒdern sich mit Krethi und Plethi. Das ist eine ĂŒble Meute. Wurscht, wie sie heißen. (TBW 22.2, 293)4 Zwei Jahre zuvor hatte Bernhard die biedere Existenz literarischer Autoren in Ă€hnlichem Duktus mit den Mitteln der Satire gezeichnet: „Es wird doch fast nur wertloses Zeug g’schrieben, von Leuten, die irgendwo in einer Gemeinde- wohnung sitzen, eine Rente haben, und da stehen die Hauspatschen, und dann haben sie ZettelkĂ€sten, und dann machen sie halt BĂŒcher, so wie NĂ€herinnen nĂ€hen.“ (TBW 22.2, 268 f.) Dieses Bild ließ er kurz darauf seinen Protagonisten Reger, den er durchaus gerne als Sprachrohr eigener Agenden in Anspruch nahm, in Alte Meister (1985) in leichter Variation wiederholen: „Sie sitzen in Wiener 4 Die Passage findet sich auch in Kurt Hofmann: Aus GesprĂ€chen mit Thomas Bernhard. Wien: Löcker 1988, S.  99 f. Bernhards Beschreibung des dickbĂ€uchigen und trinkfreudigen Kritikertypus korrespondiert mit Goethes berĂŒhmtem Spott-Gedicht auf die Rezensenten von 1774, in dem das lyrische Ich einen „Kerl zu Gast“ hat, der sich zunĂ€chst „satt“ frisst, um anschließend „[ĂŒ]ber mein Essen zu raisonnieren“: „Die Supp hĂ€tt können gewĂŒrzter sein, / Der Braten brauner, firner der Wein. / Der tausend Sackerment! / Schlagt ihn tot den Hund! Es ist ein Rezensent.“ (Johann Wolfgang Goethe: [Da hatt ich einen Kerl zu Gast]. In: J. W. G.: SĂ€mt liche Werke nach Epochen seines Schaffens. MĂŒnchner Ausgabe. Hg. v. Karl Richter in Zusammenarb. mit Herbert G. Göpfert u. a. Bd.  1.1: Der junge Goethe. 1757 – 1775. Hg. v. Gerhard Sauder. MĂŒnchen: Hanser 1985, S.  223 – 224, hier S.  223 f.) Zu Goethes Gedicht vgl. auch Kap.  IV, Abschnitt „SchnĂŒffeln und Verreißen“.  – Auf die wiederholte Denunziation „körperfixierter Dumpfheit“ (im Gegensatz zur „genialische[n] Ein- samkeit“ des Schriftstellers) in Bernhards Werk hat Franz M. Eybl: „Wenn das Werk lacht, weint der Dichter“. Thomas Bernhards poetologische Maskeraden. In: Dichterdarsteller. Fallstudien zur biographischen Legende des Autors im 20. und 21.  Jahrhundert. Hg. v. Robert Leucht u. Magnus Wieland. Göttingen: Wallstein 2016, S.  157 – 174, hier S.  162, hingewiesen. Unfreundliche Betrachtungen: EinwĂ€nde gegen die Literaturkritik64 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Titel
Strategen im Literaturkampf
Untertitel
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Autor
Harald Gschwandtner
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2021
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Abmessungen
15.7 x 23.9 cm
Seiten
482
Schlagwörter
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Kategorie
Kunst und Kultur

Inhaltsverzeichnis

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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