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Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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eine seiner „grĂ¶ĂŸten Leidenschaften“ gewesen.36 Auch viele Protagonisten seiner BĂŒcher sind passionierte Zeitungsleser, wenngleich sich diese Begeisterung nicht selten als veritable Hassliebe Ă€ußert: „Die Station ist der einzige Ort, wo es Sinn hat, hinzugehen, denn da gibt es Zeitungen“ (TBW 1, 237), weiß schon der Maler Strauch, dessen Äußerungen ein junger Famulant in Bernhards Prosa debĂŒt Frost (1963) akribisch dokumentiert; die LektĂŒre der Zeitungen gehört zu den wenigen verbliebenen Freuden des Misanthropen. Auf vielfĂ€ltige Weise sind die Schicksale von Bernhards Figuren immer wie- der mit dem Medium der Zeitung verbunden,37 etwa auf besonders tragische Weise in der 1965 publizierten ErzĂ€hlung Der Zimmerer: Gleich eingangs heißt es dort von dem eben aus der Haft entlassenen Zimmermann Winkler, „die Zei- tungen“ hĂ€tten ĂŒber ihn „vor fĂŒnf Jahren, wĂ€hrend der Dauer seines Prozesses, unglaublich viel OrdinĂ€res und Abstoßendes“, geschrieben (TBW 14, 76). Dass 36 Manfred Mittermayer: Thomas Bernhard. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2006, S.  97. Vgl. auch die Aufzeichnungen von Rudolf BrĂ€ndle: Zeugenfreundschaft. Erinnerungen an Thomas Bernhard. [1999] Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2001, S.  65: „Schon in Grafenhof hat Thomas jede Zeitung, deren er habhaft werden konnte, von A bis Z verschlungen. Diese Angewohnheit entwickelte sich im Lauf seines Lebens zu einer wahren Sucht  [
].“ Ebenso ambivalent liest sich dies in den Erinnerungen von Camillo Schaefer: Wir haben uns gegenseitig angeschwiegen. In: Was reden die Leute. 58 Begegnungen mit Thomas Bernhard. Aufgezeichnet v. Sepp Dreissinger. Salzburg, Wien: MĂŒry Salzmann 2011, S.  156 – 160, hier S.  159: „Er hat mit einer fast manischen Lesegier die Zeitungen verschlungen. Man hat den Eindruck gehabt, er kommt nicht wegen des VergnĂŒgens her [ins CafĂ© BrĂ€unerhof], sondern erfĂŒllt irgendwelche Pflichten.“  – In Meine Preise berichtet Bernhard davon, dass Hedwig Stavianicek ihn wĂ€hrend seines Klinikaufent- halts auf der Wiener Baumgartner Höhe Mitte der 1960er Jahre „jeden Tag“ mit „mehreren Kilogramm Zeitungen“ versorgt habe (TBW 22.2, 377), an einer anderen Stelle der autobio- graphischen ErzĂ€hlung ist von einem „von mir zum Zwecke des Zeitungslesens tĂ€glich auf- gesuchten Kaffeehaus in Gmunden“ die Rede (TBW 22.2, 436 f.). Im GesprĂ€ch mit Hellmuth Karasek und Erich Böhme hat Bernhard in zeitlicher NĂ€he zu Meine Preise und mit Blick auf seinen angeschlagenen Gesundheitszustand geĂ€ußert: „Wenn ich eingehen wĂŒrde, also wenn ich draufgehen wĂŒrde, wenn ich mich nicht mehr bewegen könnte, dann wĂŒrde ich es wahr- scheinlich ideal finden, im Kaffeehaus zu sitzen bei zugezogenen VorhĂ€ngen. Aber nicht so weit zugezogen, daß man nicht mehr lesen kann. Es wĂ€re schön, die Welt nur noch aus der Zeitung zu erfahren. Dann lese ich nur noch die Welt aus der Zeitung.“ (TBW 22.2, 170) 37 Vgl. dazu auch die Beispiele in Franz M. Eybl: Thomas Bernhards Stimmenimitator als Reso- nanz eigener und fremder Rede. In: Kontinent Bernhard. Zur Thomas-Bernhard-Rezeption in Europa. Hg. v. Wolfram Bayer. Wien u. a.: Böhlau 1995, S.  31 – 43, hier S.  36 f., sowie die AusfĂŒh- rungen zur Bedeutung von Printmedien in Bernhards StĂŒcken bei Clemens Götze: „Die eigent- liche Natur und Welt ist in den Zeitungen“. Geschichte, Politik und Medien im dramatischen SpĂ€twerk Thomas Bernhards. Marburg: Tectum 2009, S.  113 – 122.  Julia Kerschner: Autodidak- tik, Artistik, Medienpraktik. Erscheinungsweisen des Dilettantismus bei Karl Philipp Moritz, Carl Einstein und Thomas Bernhard. Göttingen: V&R unipress 2016, S.  351, zufolge nehmen zahlreiche Protagonisten in Bernhards StĂŒcken „ihre Umwelt in erster Linie vermittelt ĂŒber Zeitungen wahr“. Unfreundliche Betrachtungen: EinwĂ€nde gegen die Literaturkritik72 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Titel
Strategen im Literaturkampf
Untertitel
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Autor
Harald Gschwandtner
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2021
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Abmessungen
15.7 x 23.9 cm
Seiten
482
Schlagwörter
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Kategorie
Kunst und Kultur

Inhaltsverzeichnis

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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