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Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Meinung“ vertreten hĂ€tten, „daß alle Literatur tot sei“, kommt Canetti in sei- ner MĂŒnchner Rede noch einmal auf den namentlich nicht genannten Thomas Bernhard zurĂŒck: Dieser habe zwar „bittere und sehr begabte BĂŒcher“ verfasst und es „als ‚Jemand, der schreibt‘ sehr bald zu Ansehen“ gebracht; nun aber tue er das, was frĂŒher Dichter zu tun pflegten: statt zu verstummen schrieben sie dasselbe Buch immer wieder. So verbesserungsunfĂ€hig und todeswĂŒrdig die Menschheit ihnen erschien, eine Funktion war ihr geblieben: ihnen zu applaudieren. Wer dazu keine Lust verspĂŒrte, wer die immerselben ErgĂŒsse satt hatte, war doppelt verdammt: ein- mal als Mensch, damit war es schon nichts, und dann als einer, der sich weigerte, die endlose Sterbesucht dessen, der schrieb, als das Einzige anzuerkennen, das ĂŒberhaupt noch von Wert war.149 Canettis Attacke ließ an Deutlichkeit und Angriffslust wenig zu wĂŒnschen ĂŒber  – gerade der Vorwurf, es bei aller Negation und „Sterbesucht“ am Ende doch auf den Applaus des Publikums abgesehen zu haben, wog im Kontrast zu Bernhards kĂŒnstlerischem SelbstverstĂ€ndnis besonders schwer. Der derart Angesprochene revanchierte sich am 27.  Februar 1976 mit einem Leserbrief in der ZEIT, die drei Wochen zuvor auch Canettis Rede gedruckt hatte:150 Der neue Ehrendoktor der UniversitĂ€t MĂŒnchen habe zwar, so Bernhard, mit dem Roman Die Blendung (1935) vor vielen Jahren „eine begabte Talentprobe“ abgeliefert, als „Aphorismus- agent der Jetztzeit“ jedoch „durch Inkonsequenz konsequent sein Niveau ver- loren“, wovon seine Festrede beredtes Zeugnis ablege: Seinem Kontrahenten attestiert er in seiner Replik, „als eine Art Schmalkant und Kleinschopenhauer“ eine hochgradig lĂ€cherliche Figur zu sein, und verhöhnt Canetti als „SpĂ€tlings- vater[  ] und skurrilen Torschlußphilosophen“ (TBW 22.1, 646). Auf eine öffent- liche Erwiderung sollte Canetti verzichten  – „ein solches Maß von Niedertracht ist nur durch Schweigen zu strafen“ 151  –, in der ZEIT jedoch nahmen zahlreiche Leserinnen und Leser ihn gegen Bernhards wĂŒsten Angriff in Schutz.152 Einen 149 Canetti: Der Beruf des Dichters (Anm.  147), S.  257. 150 Vgl. Elias Canetti: Der Beruf des Dichters. In: DIE ZEIT, Nr.  7, 6. 2. 1976, S.  35 – 36. 151 Elias Canetti an Wolfgang FrĂŒhwald, 20. 5. 1976. In: Canetti: Ich erwarte von Ihnen viel (Anm.  135), S.  538. 152 Vgl. dazu: Sehr geschĂ€tzte Redaktion (Anm.  42), S.  67 – 70. Zu den KalamitĂ€ten um Canettis Rede und Bernhards Reaktion vgl. auch die Notiz in Unseld: Begegnung mit Thomas Bernhard in Salzburg am 10.  Mai 1976. In: Bernhard/Unseld: Der Briefwechsel (Anm.  11), S.  502 f., sowie Hans Bender/Elias Canetti: Briefwechsel. 1963 – 1990. Hg. v. Hans Georg Schwark u. Walter Hörner. Aachen: Rimbaud 2016, S.  59 – 65.  – Eine Dokumentation des Konflikts findet sich in Manfred Mittermayer, LĂ€cherlich, charakterlos, furchterregend. Zu Thomas Bernhards Rhetorik der Bezichtigung. In: Rhetorik und Sprachkunst bei Thomas Bernhard. Hg. v. Joachim Knape u. Olaf Kramer. WĂŒrzburg: Königshausen & Neumann 2011, S.  25 – 44, hier S.  30 f. Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 101 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Titel
Strategen im Literaturkampf
Untertitel
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Autor
Harald Gschwandtner
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2021
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Abmessungen
15.7 x 23.9 cm
Seiten
482
Schlagwörter
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Kategorie
Kunst und Kultur

Inhaltsverzeichnis

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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