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Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Der Zusammenbruch der Sopranistin aufgrund von „Erschöpfung  / nichts als Erschöpfung“ (TBW 15, 328) ist nicht zuletzt auf die akkumulierte Erwartungs- haltung zurückzuführen, die in den gleich eingangs verlesenen Kritiken ihren exemplarischen Ausdruck findet. Die Superlative der Opernkritik werden durch den alkoholkranken, vom Erfolg seiner Tochter abhängigen Vater und insbeson- dere durch den dubiosen Doktor noch verstärkt, obgleich die beiden vorgeben, die gefeierte Sängerin vor der „schmutzigen Öffentlichkeit  / vor ihrer tödlichen  / Inkompetenz“ „abschirmen“ zu wollen (TBW 15, 326 f.). Ständig dem Anspruch genügen zu müssen, als perfektionierte „Koloraturmaschine“ (TBW 15, 227) so zu singen, „wie noch keine vorher  / gesungen hat“ (TBW 15, 314), geht schließ- lich über ihre Kräfte, ja trägt ganz wesentlich zu ihrem Zusammenbruch bei.160 In Der Ignorant und der Wahnsinnige wird das Drama der virtuosen Künstlerin, die „Deformation des Menschen durch die Kunst“,161 als ein Scheitern sowohl an ihrem privaten Umfeld als auch an den Mechanismen des Opernbetriebs geschildert.162 In Minetti, der 1976 in Stuttgart uraufgeführten Hommage an den von Bernhard verehrten Schauspieler Bernhard Minetti,163 dem er später auch das Stück Einfach kompliziert (1986) widmen wird, hat der Autor dem skizzierten Konflikt eine neue Wendung gegeben: Hier ist es eine Künstlerfigur, die gegen Ende ihres Lebens anhand gesammelter Kritiken auf ihre wechselvolle Karriere zurückblickt. Bernhard versah das Stück, in Anlehnung an Joyces Portrait of the Artist as a Young Man, mit dem Untertitel „Ein Porträt des Künstlers als alter Mann“.164 Er lässt den 1905 geborenen Minetti, den er kurz zuvor in einem Brief an Henning Rischbieter als „elementaren Geistestheaterkopf“, ja als „wahrscheinlich 160 Vgl. Herbert Gamper: Thomas Bernhard. München: dtv 1977, S.  115. 161 Mittermayer: Thomas Bernhard [2006] (Anm.  36), S.  112. 162 Zu den überzeugendsten Deutungen des Stücks gehören die folgenden beiden Forschungsbei- träge: Christian Klug: Thomas Bernhards Theaterstücke. Stuttgart: Metzler 1991, S.  227 – 253; Jean-Marie Winkler: Bernhard als Anti-Mozart. Einige Thesen zum Stück Der Ignorant und der Wahnsinnige als Kontrafaktur der Zauberflöte. In: Bernhard-Tage Ohlsdorf 1996. Materia- lien. Hg. v. Franz Gebesmair u. Alfred Pittertschatscher. Weitra: Bibliothek der Provinz [1998], S.  206 – 218. 163 Zu Thomas Bernhards Verhältnis zu Bernhard Minetti vgl. Marek Podlasiak: Das Geistes- duo  – Thomas Bernhard und Bernhard Minetti. In: Im Wechselspiel der Kulturen. Festschrift für Karol Sauerland. Hg. v. Maria Gierlak, Małgorzata Klentak-Zabłocka u. Leszek Żyliński. Toruń: Wydawnictwo Uniwersytetu Mikołaja Kopernika 2001, S.  95 – 103; Mittermayer: Thomas Bernhard [2015] (Anm.  42), S.  279 – 282; dazu auch das Spiegel-Interview mit Hellmuth Karasek und Erich Böhme aus dem Jahr 1980 (vgl. TBW 22.2, 173). Wiederholt hat Bernhard betont, beim Verfassen seiner Stücke „auf Zuschauer nie einen Wert g’legt“ und diese „nur für Schau- spieler und ganz bestimmte Schauspieler g’schrieben“ zu haben (TBW 22.2, 265). 164 Vgl. Hans Höller: Thomas Bernhard. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 1993, S.  122, der nicht nur den Bezug zu Joyce unterstreicht, sondern Minetti zudem als „romantische[s] Märchen eines ausgestoßenen Künstlers“ beschreibt. Unfreundliche Betrachtungen: Einwände gegen die Literaturkritik104 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Titel
Strategen im Literaturkampf
Untertitel
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Autor
Harald Gschwandtner
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2021
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Abmessungen
15.7 x 23.9 cm
Seiten
482
Schlagwörter
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Kategorie
Kunst und Kultur

Inhaltsverzeichnis

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. Einsprüche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wären nicht so viele böse Worte zu verlieren …“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, Verbündete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche Schwätzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der Bühne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der Dürre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres Geschäft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚Natürlichkeit‘ 150
    3. Die „ästhetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses Unglück) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshändige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. Schnüffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der Lektüre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut Färber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke über/mit Ödön von Horváth 259
    7. Keine Axt für das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, Kofferträger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekärer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. Primärliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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