Seite - 131 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Kritiker immer sagt, âwunderbarâ oder âgroĂartigâ. Solche Wörter sollte man
euch verbieten.â 269
Die âpolemischen Absetzbewegungenâ Peter Handkes von den âMethodenâ
der âLiteraturkritikâ,270 seine âBemerkungen ĂŒber die unterentwickelte Kritik im
deutschsprachigen Raumâ 271 sind Teil eines umfassenden Misstrauens, das neben
dem Feuilleton auch die akademische Literaturwissenschaft, den âUniversitĂ€ts-
stumpfsinnâ 272 und die âverlogene[Â
] GravitĂ€tik der Germanistikâ,273 miteinschlieĂt.
Dem âWorteklaubenâ der Philologien hat er ein ums andere Mal, und nicht selten
mit polemischer Schlagseite, das âforschende ErzĂ€hlenâ vorgezogen, das esÂ
â ganz
anders als die WissenschaftÂ
â Autor und Leser ermögliche, âunvergleichlich frei
ums Herzâ zu werden.274 Sowohl die von Handke formulierten Forderungen an
âordentlicheâ und âauĂerordentliche Germanist[en]â,275 adĂ€quate Instrumenta-
rien zur Beschreibung literarischer Texte zu entwickeln, als auch seine Gleich-
setzung des âProfessorenhaftenâ mit dem âKlassizistischenâ 276 zeugen von der
angesprochenen Skepsis. Dem âSchwindel der Zu-Ende-Denkerâ 277 hat Handke,
nicht nur in der Rede zur Verleihung des Georg-BĂŒchner-Preises im Jahr 1973,
die âbegriffsauflösende[ ] und damit zukunftsmĂ€chtige[ ] Kraft des poetischen
Denkensâ, ja das âhoffnungsbestimmte poetische Denkenâ gegenĂŒbergestellt.278
269 Ulrich Greiner: Ich komme aus dem Traum. GesprĂ€ch mit Peter Handke. In: DIE ZEIT, Nr.Â
6,
2. 2. 2006, S. 53 â 54, hier S. 53. Vgl. dazu auch Handkes 2015 publizierte Reflexionen ĂŒber drei
BĂŒcher von Dragan AleksiÄ, Xaver Bayer und Dag Solstad: âKeine Sorge: Es sei hier fern, die
drei fraglichen BĂŒcher in einen Himmel zu heben. âMeisterwerkeâ, âwunderbareâ, âunvergleich-
licheâ, âatemberaubendeâ, âepochaleâ, gibt es ja heutzutage in FĂŒlle und HĂŒlle; tagtĂ€glich kommen
ein paar frische dazu.â (Peter Handke: Drei Zitterer an der homerischen Quelle. [2015] In: P.Â
H.:
Tage und Werke [Anm. 21], S. 165 â 186, hier S. 166 f.)
270 Rolf G. Renner: Peter Handke. Stuttgart: Metzler 1985, S. 24.
271 Clemens Ăzelt: KlangrĂ€ume bei Peter Handke. Versuch einer polyperspektivischen Motivfor-
schung. Wien: BraumĂŒller 2012, S. 89.
272 Handke an Kolleritsch, 17. 5. 1976. In: Handke/Kolleritsch: Schönheit ist die erste BĂŒrgerpflicht
(Anm. 202), S. 99.
273 Handke an Lenz, 18. 11. 1975. In: Handke/Lenz: Berichterstatter des Tages (Anm. 17), S. 90. Auch
Bernhard ist wiederholt gegen die Literaturwissenschaft zu Felde gezogen. Vgl. etwa seine abschÀt-
zige Bemerkung in einem Interview mit Kurt Hofmann: Aus GesprÀchen mit Thomas Bernhard
(Anm.Â
4), S.Â
96: âGermanisten werden die Leutâ ja nicht aus Liebe zur Dichtung oder Kunst, son-
dern weil ihnen alle anderen Möglichkeiten als Chauffeur, BÀcker oder Schlosser völlig verwehrt
sind. Oder weil sie stinkfaul sind oder zu eingebildet, um irgend so einen Beruf auszuĂŒben.â
274 Peter Handke: Mein Jahr in der Niemandsbucht. Ein MĂ€rchen aus der neuen Zeit. Frankfurt
a. M.: Suhrkamp 1994, S. 224.
275 Handke/Hamm: Es leben die Illusionen (Anm. 55), S. 117.
276 Ebd., S. 107.
277 Handke: Das Gewicht der Welt (Anm. 53), S. 301.
278 Peter Handke: Die Geborgenheit unter der SchĂ€deldecke. [1973] In: P. H.: Als das WĂŒnschen
noch geholfen hat. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1974, S. 71 â 80, hier S. 76 u. 80.
Erstsprache vs. Zweitsprache 131
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471