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mich interessierteâ, um verdeutlichend hinzuzufĂŒgen: âĂberhaupt nicht hatâs mich
interessiert.â 6 In der Folge unterstreicht Reich-Ranicki, zeitweilig unterbrochen
und wohl auch angefeuert von GelÀchter aus dem Publikum, sein Desinteresse
an Handkes Text und bezeichnet dessen sprachanalytische Auseinandersetzung
mit der ProduktivitĂ€t einer literarischen Gattung als bloĂen âManierismusâ, ja
als im vorliegenden Fall gescheiterte âSchreibweiseâ:
Es ist natĂŒrlich richtig, was hier gesagt wurde, dass es eine solche Schreibweise gibt.
Es gibt sie, nur die Frage ist, ob sie was taugt. Und wenn man sagt, dies sei ein Krimi-
nalroman, und das Kriterium ist hier wörtlich gebracht worden, weil man nicht weiĂ,
worum es geht, nun, dann möchte ich behaupten, dass das noch kein ausreichendes
Kriterium ist. Man weiĂ sehr oft bei schlechten Sachen nicht, worum es geht, und
es sind deswegen noch keine Kriminalromane. Dieses Prinzip der HauptsÀtze wird
verteidigt. Ja, natĂŒrlich kann man aus HauptsĂ€tzen, AussagesĂ€tzen, eine ErzĂ€hlung
bauen, und kann machen, dass sich aus diesen HauptsĂ€tzen ein einziger groĂer Poten-
tialis ergibt. Er ergibt sich hier meiner Ansicht nach nicht. Ich glaube nicht an diese
Schreibweise, wie sie hier vorgefĂŒhrt wurde. Ich glaube, dass das Ganze in einem sehr,
sehr primitiven und, trotz allem, was hier gesagt wurde, eigentlich sehr altmodischen
Manierismus landet. [âŠ] Mich hat es gelangweilt.7
6 Audioaufzeichnung Princeton 1966 (Anm. 1), Lesung Handke, Wortmeldung Reich-Ranicki,
37:35 â 37:42.
7 Ebd., 38:05 â 39:05. Vgl. zu den Reaktionen auf Handkes Lesung Helmut Böttiger: Die Gruppe
47. Als die deutsche Literatur Geschichte schrieb. MĂŒnchen: DVA 2012, S.Â
391 f.; Jörg Magenau:
Princeton 66. Die abenteuerliche Reise der Gruppe 47. Stuttgart: Klett-Cotta 2016, S. 142. Zur
Wiederkehr dieses Bewertungsmusters vgl. Thomas Anz: Werten und FĂŒhlen. Zur RationalitĂ€t
und EmotionalitĂ€t literaturkritischer KommunikationÂ
â am Beispiel von Marcel Reich- Ranicki.
In: Literaturkritik heute. Tendenzen â Traditionen â Vermittlung. Hg. v. Heinrich Kaulen u.
Christina Gansel. Göttingen: V&R unipress 2015, S.Â
13 â 25, hier S.Â
17: âReich-Ranickis Wirkungs-
argumente verwenden, soweit sie sich auf UnlustgefĂŒhle beim Lesen beziehen, mit Vorliebe
Wörter wie âlangweilenâ oder âermĂŒdenâ.â â Auf eine Anfrage des Residenz Verlags fĂŒr einen
Anthologie-Beitrag antwortete Reich-Ranicki 1984 denn auch entsprechend: âLieber Herr Jung,
/ Sie möchten gerne wissen, wie die Literatur aussehen sollte, die ich mir fĂŒr die Zukunft wĂŒn-
sche. Hier meine Antwort, die hochmĂŒtig klingen mag, indes, Sie können es mir glauben, ganz
und gar aufrichtig ist: Ich wĂŒnsche mir eine Literatur, die mich nicht langweilt.â (Marcel Reich-
Ranicki: Erst die Poesie, dann die Theorie. In: Was Kritiker gerne lÀsen. Literaturalmanach 1984.
Hg. v. Jochen Jung. Salzburg, Wien: Residenz 1984, S. 99 â 101, hier S. 99) â Vgl. dazu Anton
Thuswaldner: Ăsterreichische VerhĂ€ltnisse. In: Deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Wider
ihre VerĂ€chter. Hg. v. Christian Döring. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1995, S.Â
108 â 119, hier S.Â
111:
âWo frĂŒher die mĂŒhsame Suche nach Argumenten Zustimmung oder Ablehnung fĂŒr andere
ĂŒberprĂŒfbar machte, zĂ€hlt heute das saloppe und beilĂ€ufig fallengelassene Wort. Noch nie ist
eine Floskel vom Typus âDas langweilt mich!â eine literaturkritische Kategorie gewesen, mittler-
weile sind solch subjektive, nicht weiter begrĂŒndeten oder begrĂŒndbaren Phrasen Allgemeingut
geworden [âŠ].â Princeton 1966 und die Folgen 143
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471