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im Almanach des Residenz Verlags als zu Unrecht vergessenen Schriftsteller her-
vorgehoben und gewĂŒrdigt.89 Dass er sich um das Andenken des Anfang 1974 im
Alter von 90Â Jahren verstorbenen Autors kĂŒmmerte, nahmen auch Schriftsteller
einer Ă€lteren Generation wohlwollend zur Kenntnis: âEine gute FĂŒgung scheint
es mirâ, schreibt Elias Canetti am 25. Dezember 1974 an dessen Witwe Ilse Nabl,
âdass Peter Handke einen Band ErzĂ€hlungen im Residenz Verlag herausgibt. Die
Jungen wollen es von einem der Ihren hören, wie bedeutend ein Dichter ist.â 90 Als
die Stadt Graz kurz nach dem Tod Nabls einen nach ihm benannten Literaturpreis
stiftete, war Canetti der erste PreistrÀger.91
Reich-Ranicki lehnte Handkes Vorschlag aber mit Hinweis auf die mangelnde
Bekanntheit Nabls in der Bundesrepublik abÂ
â ein Einwand, der bei Handke auf
wenig VerstĂ€ndnis stieĂ, zumal er davon ĂŒberzeugt war, am Beispiel des Schrift-
stellers ein ĂŒber den Einzelfall hinausreichendes Problem kĂŒnstlerischer Exis-
tenz geschildert zu haben:
Lieber Marcel Reich-Ranicki,
daĂ Sie den Aufsatz ĂŒber Franz Nabl nicht haben wollten, dagegen ist nichts zu sagen.
Der Grund freilich, er wÀre in Deutschland fast unbekannt, hat mir nicht eingeleuchtet.
Man hÀtte ja eine kurze Vorstellung und Geschichte seines Werkes in der deutschen
Ăffentlichkeit (+ die Geschichte seines Vergessenwerdens) vorausschicken können â
und der Konflikt, den ich an Franz Nabl klarzustellen versucht habe (der Schriftsteller
und die vorgegebenen normativen Systeme von Erleben), scheint mir nicht gar so
speziell zu sein. Nun, das alles ist nicht so wichtig âŠ92
wurde 1980 in den Band Das Ende des Flanierens (S. 22 â 37) aufgenommen. â Vgl. Handke an
Unseld, 7. 3. 1975. In: Handke/Unseld: Der Briefwechsel (Anm. 60), S. 281: âDen Aufsatz ĂŒber
Franz Nabl habe ich gestern fertiggekriegt; er ist ziemlich lang geworden, etwa 14 Seiten âŠ
Ich werde ihn in der nĂ€chsten Woche an die âFAZâ schicken.âÂ
â Zu Handkes BeschĂ€ftigung mit
Franz Nabl vgl. Norbert Gabriel: Peter Handke und Ăsterreich. Bonn: Bouvier 1983, S. 38 â 41.
89 Vgl. Peter Handke: Ăsterreich und die Schriftsteller. In: Literatur im Residenz Verlag. Alma-
nach auf das Jahr 1974. Salzburg: Residenz 1974, S. 57 â 61; mit verĂ€ndertem Schluss und einer
Widmung fĂŒr Alfred Holzinger wurde der Text 1980 in den Band Das Ende des Flanierens
(S. 18 â 21) aufgenommen.
90 Elias Canetti an Ilse Nabl, 25. 12. 1974. In: Canetti: Ich erwarte von Ihnen viel (Anm.Â
86), S.Â
494.
Zu Canettis WertschĂ€tzung fĂŒr Franz Nabl vgl. auch den Eintrag in Elias Canetti: Das Buch
gegen den Tod. Mit einem Nachwort v. Peter von Matt. MĂŒnchen: Hanser 2014, S.Â
132. Zu Nabls
âWiederentdeckungâ durch eine neue Autoren-Generation vgl. Wendelin Schmidt-Dengler:
Franz Nabl und die Literaturgeschichte. In: Ăber Franz Nabl. AufsĂ€tze, Essays, Reden. Hg.
v. Kurt Bartsch, Gerhard Melzer u. Johann Strutz. Graz u. a.: Styria 1980, S.Â
9 â 27, hier S.Â
14 f.
91 Vgl. Hanuschek: Elias Canetti (Anm. 86), S. 515 f.
92 Peter Handke an Marcel Reich-Ranicki, 29. 4. 1975. In: Deutsches Literaturarchiv Marbach, Hand-
schriftensammlung, A: Reich-Ranicki, HS.2003.0002.00240. Vgl. dazu auch Peter Handke an
Wolfgang Schaffler, 8. 4. 1975. In: Literaturarchiv Salzburg (LAS), Archiv des Residenz Verlags:
âMein Feind in Deutschlandâ: Peter Handke vs. Marcel
Reich-Ranicki162
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471