Seite - 166 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Die Publikation eines Aufsatzes in der FAZ kam jedochÂ
â wenig ĂŒberraschendÂ
â
nicht mehr zustande.
Stattdessen veröffentliche Reich-Ranicki am 9.Â
Oktober 1976, also knapp vier
Monate nach Handkes privater Attacke, mit der Rezension von Die linkshÀndige
Frau (1976) seinen bislang schÀrfsten Verriss zu einem Buch des Autors. Wie des
Ăfteren geht er auch hier vom Urteil anderer Kritiker aus, um sich von deren
positiver EinschĂ€tzung des Handkeâschen Werks zu distanzieren: âDie Leser vor
diesem BĂŒchlein warnen zu wollenâ, heiĂt es gleich eingangs,
wÀre abwegig. Denn zum Widerspruch oder gar zur Aufregung gibt es hier nicht
den mindesten Grund. Und nur weil die ErzĂ€hlung âDie linkshĂ€ndige Frauâ von dem
beliebten und auch in mancherlei Hinsicht reprÀsentativen Nachwuchsdichter [seinen
ersten Roman hatte dieser bereits zehn Jahre zuvor vorgelegt; H. G.] Peter Handke
stammt, mĂŒssen wir auf dieses erstaunlich harmlose ProsastĂŒck, das schon von eini-
gen Rezensenten mit Andacht analysiert wurde, etwas nÀher eingehen.104
âNachlĂ€ssigâ und âschlecht formuliertâ zĂ€hle Handkes ErzĂ€hlung zu jenem
âMumpitz, der Tiefsinn vortĂ€uscht und in Deutschland immer beliebt war und
istâ. Reich-Ranicki vergleicht Die linkshĂ€ndige Frau in der Folge maliziös mit den
Liebesromanen und âder Welt der Hedwig Courths-Mahlerâ,105 und er charak-
terisiert Handkes bewusstes Spiel mit trivialen ErzÀhlmustern unreflektiert als
Defizit des Buches.106 Der Kritiker rĂŒckt die ErzĂ€hlung Handkes, der schon 1973
u. 231 (24./26./28. 9. 1976); zu den WasserfĂ€llen von Slunj vgl. ebd., S. 311 â 313 (Februar 1977).
Auch in anderen Textsorten hat sich Handke auf Doderers Werk als Vergleichspunkt bezogen,
etwa in der 1976 veröffentlichten Rezension zu Nicolas Borns Roman Die erdabgewandte Seite
der Geschichte (P. H.: Das Ende des Flanierens. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1980, S. 107 â 119,
bes. S.Â
117) oder 2005 in einem Interview mit Heinz-Norbert Jocks: GeglĂŒckte Tage, unterwegs.
Im GesprÀch: Peter Handke erzÀhlt vom Reisen allein, von Nomaden und NestrÀubern. In:
Freitag, Nr. 42, 21. 10. 2005, S. 3. â Vgl. dazu jetzt Helmut Moysich: RĂŒck mir auf den Leib, Du
stille Welt. Poetisch-existentielle Verwandtschaften zwischen Peter Handke und Heimito von
Doderer. In: Die tÀgliche Schrift. Peter Handke als Leser. Hg. v. Thorsten Carstensen. Bielefeld:
transcript 2019, S. 163 â 177.
104 Marcel Reich-Ranicki: Unser junger Handke und die alte Hedwig. In: Frankfurter Allgemeine
Zeitung, 9. 10. 1976.
105 Ebd.
106 Vgl. die Rekonstruktion in Wolf: Autonomie und/oder Aufmerksamkeit? (Anm.Â
4), S.Â
54 f.; zur
Rezeption des Bandes auch Christel Terhorst: Peter Handke. Die Entstehung literarischen Ruhms.
Die Bedeutung der literarischen Tageskritik fĂŒr die Rezeption des frĂŒhen Peter Handke. Frank-
furt a. M. u. a.: Lang 1990, S.Â
4; Anz: Marcel Reich-Ranicki (Anm.Â
15), S.Â
135 f. Peter Demetz: On
Marcel Reich-Ranicki (Anm.Â
21), S.Â
300, zĂ€hlt âdisqualifying the shoddy and trivialâ zu dessen
zentralen Anliegen, unterschlĂ€gt aber, dass der Kritiker sich â etwa im Fall Elfriede Jelineks â
fĂŒr die literarische Funktionalisierung des Trivialen als Verfahren der Ă€sthetischen Moderne
wenig aufgeschlossen gezeigt hat.Â
â In einem Beitrag fĂŒr die Suhrkamp-Zeitschrift Dichten und
âMein Feind in Deutschlandâ: Peter Handke vs. Marcel
Reich-Ranicki166
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471