Seite - 167 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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mit dem renommiertesten Literaturpreis Deutschlands, dem Georg-BĂŒchner-
Preis, ausgezeichnet worden war, in die NĂ€he der Werke einer Schriftstellerin,
dieÂ
â in der Terminologie der Bourdieuâschen KultursoziologieÂ
â eindeutig dem
âSubfeld der Massenproduktionâ zuzurechnen ist.107 Die Fallhöhe zwischen dem
Status eines bereits frĂŒh umfassend konsekrierten Autors, zu dessen kĂŒnstleri-
schem Ethos es gehörte, mit jedem Buch eine âneue Möglichkeitâ des ErzĂ€hlens
zu erkunden,108 und der mit dem Vergleich mit Courths-Mahler angedeuteten
literarischen BanalitĂ€t und Nachfrageorientierung ist denkbar groĂ. Gerade weil
der âGrad der faktischen oder vermeintlichen AbhĂ€ngigkeit von Publikums-
geschmack, Erfolg, Wirtschaftâ, so Bourdieu,109 im literarischen Feld ein zentra-
les Kriterium der Hierarchisierung und Bewertung darstellt, ist Reich-Ranickis
Bemerkung nicht bloà ein beilÀufig gestreutes Bonmot, sondern attackiert ganz
grundlegend Handkes Konzept von Autorschaft. Dem denunziatorischen Ver-
gleich mit der Trivialautorin ist nicht nur der Vorwurf inhÀrent, unter seinem
âNiveauâ zu arbeiten, sondern auch die Anschuldigung, sich dem kommerziel-
len Erfolg (mit Bourdieu: dem âPrinzip der externen Hierarchisierungâ 110) ver-
schrieben zu haben. In Reich-Ranickis Besprechung ist â im Wissen um Hand-
kes brieflichen Vorwurf, der Kritiker verhalte sich âin seinen Arbeitenâ meist
âpositionspolitisch opportunâ â ein gerĂŒttelt MaĂ an revanchistischem Zorn zu
vernehmen. Der Bruch zwischen den beiden war damit wohl endgĂŒltig vollzo-
gen; die Erwartung kĂŒnftiger âUnversöhnlichkeitâ, der Handke in seinem letzten
Brief Ausdruck verliehen hatte, war der Kritiker ohne Zögern zu erwidern bereit.
Nach dem Verriss der LinkshÀndigen Frau in der FAZ musste Siegfried
Unseld seinen Autor damit vertrösten, dass âReich-Ranickis verantwor-
tungslose Kritik [âŠ] neue, verantwortungsvolle auf den Plan rufenâ werde.111
Trachten hatte Handke 1967, mit Blick auf seinen Roman Der Hausierer, die Absicht festgehalten,
âein darstellungsschema aus der âtrivialliteraturâ wieder wirklich [zu] machenâ (Peter Handke:
Ăber meinen neuen Roman Der Hausierer. In: Dichten und Trachten 29 [1967], S.Â
27 â 29, hier
S. 28), und sich im Essay Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms (1967) mit dem Absinken
kĂŒnstlerischer Methoden in die âTrivialkunstâ beschĂ€ftigt (Handke: Ich bin ein Bewohner des
Elfenbeinturms [Anm.Â
37], S.Â
21). Zu Handkes Arbeit mit âtrivialenâ Kunstformen vgl. Norbert
Christian Wolf: High and Low: Mediale Dominanzbildungen bei Peter Handke. In: Der neue
Wettstreit der KĂŒnste. Legitimation und Dominanz im Zeichen der IntermedialitĂ€t. Hg. v. Uta
Degner u. N. C. W. Bielefeld: transcript 2010, S. 77 â 97.
107 Pierre Bourdieu: Das literarische Feld. In: P. B.: Kunst und Kultur. Kunst und kĂŒnstlerisches
Feld. Schriften zur Kultursoziologie 4. Hg. v. Franz Schultheis u. Stephan Egger. Berlin: Suhr-
kamp 2015, S. 339 â 447, hier S. 347.
108 Handke: Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms (Anm. 37), S. 22.
109 Pierre Bourdieu: Das literarische Feld. Kritische Vorbemerkungen und methodologische Grund-
sĂ€tze. In: P. B.: Kunst und Kultur (Anm. 107), S. 309 â 337, hier S. 332.
110 Bourdieu: Das literarische Feld (Anm. 107), S. 347.
111 Unseld an Handke, 18. 10. 1976. In: Handke/Unseld: Der Briefwechsel (Anm. 60), S. 311.
Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre 167
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471