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hat sich auch der ErzÀhler der Kindergeschichte (1981), des dritten Teils der
Langsame-Heimkehr-Tetralogie, polemisch von den âRealitĂ€ts-TĂŒmler[n]â und
ââWirklichkeitler[n]ââ distanziert.178
Die selbstbewusste Formulierung einer neuen Poetik â Handke kĂŒndigte
Unseld die Lehre als âEssayâ, aber auch als âManifestâ an 179Â
â, die das individuelle
âRecht zu schreibenâ zu ergrĂŒnden versucht,180 geht mit der aggressiven Verteidi-
gung des eigenen Schreibens gegen den literaturkritischen âLeithundâ Hand in
Hand. Bei dessen âgroĂspurige[r] Krakelschriftâ, mit der er âsozusagen einen
öffentlichen Machtbereich abgesteckt hatteâ, handelt es sich bei genauerem Hin-
sehen um getrocknete Kothaufen.181 Das Schreiben des anderen wird mit diesem
Vergleich aus dem Bereich des FĂ€kalen ostentativ entwĂŒrdigt und delegitimiert.
Die Verbindung von poetologischem Entwurf und kÀmpferischer Bewahrung
dieses Entwurfs gegen ein feindliches Prinzip, wie sie hier zu beobachten ist, ist
charakteristisch fĂŒr Handkes mehrstimmige Werkpolitik: âFĂŒr mich war diese
ErzĂ€hlung oder Essay zugleich ein Manifest und eine Drehscheibe fĂŒr meine
eigene Schreibexistenz.â 182 In der Lehre der Sainte-Victoire werden textuelle und
paratextuelle Funktionen miteinander verschrÀnkt, wobei diese Amalgamierung
von Text und Paratext einer spezifisch erzÀhlerischen Inszenierung folgt.
Obschon das Kapitel âDer Sprung des Wolfsâ, wie Anne-Kathrin Reulecke
herausgearbeitet hat, auch ohne den Bezug zu Marcel Reich-Ranicki eine wich-
tige Schaltstelle des Buches markiert, weil es ein âretardierendes Moment in der
AnnĂ€herung an CĂ©zannes Kunstâ vorstellt und zudem die Rolle des Bösen in der
Natur reflektiert,183 kommt seine poetologische, ja werkpolitische Sprengkraft
erst dann vollends zur Geltung, wenn man es als Allegorisierung des Konflikts
zwischen Autor und Kritiker in den Blick nimmtÂ
â zumal, wie noch zu zeigen ist,
auch der CĂ©zanne-Bezug selbst dieser Lesart zuarbeitet. Handkes Ausweitung
178 Peter Handke: Kindergeschichte. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1981, S. 86 f.
179 Handke an Unseld, 22. 3. 1980. In: Handke/Unseld: Der Briefwechsel (Anm. 60), S. 392.
180 Vgl. Handke: Die Lehre der Sainte-Victoire (Anm.Â
10), S.Â
68 â 72. Vgl. Roland Borgards: Sprache
als Bild. Handkes Poetologie und das 18. Jahrhundert. MĂŒnchen: Fink 2003, S. 36 f.; Honold:
Der Erd-ErzÀhler (Anm. 129), S. 208 f.
181 Handke: Die Lehre der Sainte-Victoire (Anm. 10), S. 59.
182 Funcke/Handke: Wir mĂŒssen fĂŒrchterlich stottern (Anm. 127).
183 Anne-Kathrin Reulecke: Geschriebene Bilder. Zum Kunst- und Mediendiskurs in der Gegen-
wartsliteratur. MĂŒnchen: Fink 2002, S.Â
67: âDer ErzĂ€hler anthropomorphisiert das Tier, indem
er dessen Verhalten als kriegerischen Angriff gegen sich persönlich deutet [âŠ].â Vgl. zur
Funktion des Kapitels in der Architektur der Lehre der Sainte-Victoire ausfĂŒhrlich ebd., S.Â
67 f.;
Huber: Versuch einer Ankunft (Anm. 170), S. 246 â 250; Tanja Angela Kunz: Sehnsucht nach
dem Guten. Zum VerhÀltnis von Literatur und Ethik im epischen Werk Peter Handkes. Pader-
born: Fink 2017, S. 210 f.; sowie Ulrich von BĂŒlow: Spinoza-LektĂŒren. In: Das stehende Jetzt
(Anm.Â
169), S.Â
125 â 147, hier S.Â
142 f., der die Episode mit Handkes Spinoza-Rezeption um 1980
in Beziehung setzt und dafĂŒr stichhaltige Belege in den NotizbĂŒchern des Autors anfĂŒhrt.
Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 181
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471