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Leben und Schreiben zu gefährden.218 Das Hündische, das Kläffen des Hundes,
ist zudem gleich in mehreren Werken Handkes mit einem bestimmten Sprach-
und Denkgestus verknüpft.219 Der emphatische Schlussmonolog der Nova im
1982 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführten ‚dramatischen Gedicht‘ Über
die Dörfer – mit dem Theaterstück fand die Tetralogie ihren Abschluss – for-
dert sein Publikum denn auch ganz in diesem Sinne dazu auf, sich nicht „als
die Hunde“ zu gebärden, „bei deren Anblick sofort die Phantasie erstirbt“.220 In
Korrespondenz zum kritischen „Allesfresser“ 221 in der Lehre könnte man auch
die folgende Passage in Novas Monolog am Ende des Stücks auf diesen thema-
tischen Komplex beziehen: „Beweist, gegen den Allesverschlinger, mit euren
Mitteln, unseren menschlichen Trotz!“ 222 Wenn Handke kurz darauf „Schwar-
zer Hund, notdurftverrichtend an weißer Birke“ in seinem (erst 1998 als Buch
publizierten) Salzburger Journal Am Felsfenster morgens notiert,223 liegt es nahe,
das nur grob skizzierte Natur-Bild auch als erneute Inszenierung der Konfron-
tation von Kritiker und Autor zu lesen: Die aus Kot gebildete „Krakelschrift“ 224
des Hundes aus der Lehre wird im scharfen Kontrast zwischen hellem Baum
und dunklem Tier aufgenommen und aktualisiert.
Demgegenüber steht das Wunschbild gleichmütigen Erduldens, wobei das
Vertrauen auf die eigenen Stärken die destruktiven Energien entkräften soll:
„Der schwarze Dobermann mit seinen knickenden Beinen
/ mag mir jetzt ruhig
in den Kniekehlen schnüffeln“,225 heißt es 1986 im Gedicht an die Dauer: ein
Mantra des selbstbewussten Voranschreitens. Im Versuch über die Müdigkeit
(1989) wiederum berichtet der Autor-Erzähler wie beiläufig vom zeitweisen
Ausbleiben der „übliche[n] Hundeangst“.226 Noch in den Aufwachnotizen Ein
218 Vgl. Leopold Federmair: Die Apfelbäume von Chaville. Annäherungen an Peter Handke. Salz-
burg, Wien: Jung und Jung 2012, S.
61, der einen „Angsthass gegen Hunde, der sich
[…] durch
Handkes Werk zieht“, konstatiert; dazu ausführlich die textnahe Interpretation von Huber:
Versuch einer Ankunft (Anm. 170), S. 218 – 223 u. 243 – 254, der von einer „Leitmotivtechnik“
(ebd., S. 244) Handkes in Bezug auf das ‚Hündische‘ spricht.
219 Folgt man dem Publizisten Franz Schonauer in seiner Einschätzung, wonach sich Reich-
Ranicki durch eine „fast automatisch zu nennende Reaktion auf Literatur“ ausgezeichnet habe
(Schonauer: Marcel Reich-Ranicki [Anm. 18], S. 163), ließe sich Handkes Identifizierung des
Kritikers mit dem Hündischen auch als hintersinnige Aktualisierung der Pawlow’schen Kon-
ditionsexperimente verstehen.
220 Peter Handke: Über die Dörfer. Dramatisches Gedicht. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1981, S.
104.
221 Handke: Die Lehre der Sainte-Victoire (Anm. 10), S. 59.
222 Handke: Über die Dörfer (Anm. 220), S. 105.
223 Peter Handke: Am Felsfenster morgens (und andere Ortszeiten 1982 – 1987). Salzburg, Wien:
Residenz 1998, S. 53.
224 Handke: Die Lehre der Sainte-Victoire (Anm. 10), S. 59.
225 Peter Handke: Gedicht an die Dauer. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1986, S. 45.
226 Peter Handke: Versuch über die Müdigkeit. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1989, S. 61.
„Mein Feind in Deutschland“: Peter Handke vs. Marcel
Reich-Ranicki188
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
- II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- Einsprüche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
- „Über diesen Roman wären nicht so viele böse Worte zu verlieren …“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, Verbündete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche Schwätzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
- „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der Bühne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der Dürre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als ‚leeres Geschäft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚Natürlichkeit‘ 150
- Die „ästhetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses Unglück) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshändige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- Schnüffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der Lektüre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut Färber 246
- „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- „wirklich unorthodox“: Handke über/mit Ödön von Horváth 259
- Keine Axt für das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- „Kanzlist, Kofferträger und Kunstkritiker“ 289
- „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
- „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
- „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekärer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471