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Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Gleichzeitig ist Handkes LektĂŒrebericht eng mit dem Text der Verstörung selbst verwoben; er entwirft keine Perspektive außerhalb des ‚besprochenen‘ Romans, um dessen literarische Machart zu beschreiben, sondern er vollzieht dessen erzĂ€hlerische Struktur bis ins Detail des Wortbestandes nach: Wenn Handke etwa im vorletzten Satz vom inneren Erfrieren des FĂŒrsten schreibt, nimmt er dabei eine im Roman selbst gebrauchte Formel auf: „Ich erfriere von innen heraus.“ (TBW 2, 161)103 Auch die von Handke verwendete Bezeichnung Sauraus als „ganz gegen die Wirklichkeit konstruiert[e]“ Figur findet sich bereits in Bernhards Text, wobei es sich dort um eine Selbstcharakterisierung des zusehends dem Wahnsinn anheimfallenden FĂŒrsten handelt: „Ich bin ganz gegen die Wirklich- keit konstruiert“ (TBW 2, 178). Neben jenen Passagen, die konkret dem Akt der LektĂŒre von Bernhards Verstörung gewidmet sind, besteht Handkes Aufsatz zu großen Teilen aus der NacherzĂ€hlung des Romans bzw. aus dem Nachvollzug der Handlung (des Besuchs eines Arztes und seines Sohns bei dem zurĂŒckgezogen auf der Burg Hochgobernitz lebenden FĂŒrsten Saurau) im Sinne eines detaillierten LektĂŒreprotokolls:104 Als die beiden auf der Burg ankamen, ging der Blick tatsĂ€chlich Hunderte von Kilo- metern weit. / Sie sahen den FĂŒrsten auf der Ă€ußeren Burgmauer, sie trafen ihn auf der inneren. Er begrĂŒĂŸte sie, ohne stehenzubleiben. Sie schlossen sich ihm an. Er setzte sein SelbstgesprĂ€ch, das er schon den ganzen Tag lang fĂŒhrte, sogleich mit ihnen fort. Dem FĂŒrsten war es in jedem Augenblick natĂŒrlich, daß die Welt ausein- anderbricht. Er redete immer von sich selber wie von der ganzen Welt und von der ganzen Welt wie von sich selber. Der Vater hatte dem Studenten schon gesagt, der FĂŒrst sei total wahnsinnig, auch die MĂŒllersburschen unten hatten erzĂ€hlt, daß der FĂŒrst Unglaubliches rede.105 WĂŒrzburg: Königshausen & Neumann 2013, S.  258, als in Bernhards ƒuvre wiederkehrendes Strukturmuster des ZirkulĂ€ren beschrieben; Handke greift dieses Muster in seinem Text in AnsĂ€tzen auf. 103 Eine Ă€hnliche Stelle findet sich bereits in Bernhards erstem Prosabuch Frost (1963): „Es sei ja nicht kalt“, rekapituliert dort der Famulant eine Aussage des Malers Strauch, „im Gegenteil, aber: ‚der Föhn, wissen Sie. Innerlich, verstehen Sie, habe ich gefroren. Man friert innerlich.‘“ (TBW 1, 25) 104 Vgl. dazu Karl Wagner: „Er war sicher der Begabteste von uns allen“. Bernhard, Handke und die österreichische Literatur. Wien: Picus 2010, S.  34: Als ich „Verstörung“ von Thomas Bernhard las „illustriert zugleich, wie Handke die ZwĂ€nge und Rituale der Gattung Buchrezension aus- zuhebeln trachtet, indem er mit Hilfe einer NacherzĂ€hlung eine Analyse zu geben sucht. Sein geradezu Rosegger’scher Titel indiziert eine epische NaivitĂ€t, die dem Meinungs- und Urteils- terror der Besprechung ein Schnippchen schlagen will  [
].“ 105 Handke: Als ich Verstörung von Thomas Bernhard las (Anm.  98), S.  212. Peter Handkes Gegenmodelle zur zeitgenössischen Literaturkritik242 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Titel
Strategen im Literaturkampf
Untertitel
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Autor
Harald Gschwandtner
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2021
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Abmessungen
15.7 x 23.9 cm
Seiten
482
Schlagwörter
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Kategorie
Kunst und Kultur

Inhaltsverzeichnis

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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