Seite - 271 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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auch als kontinuierliche Sondierung des Übergangsbereichs zwischen Literatur
und Kritik, zwischen Erzählung und Analyse.
Bereits im Herbst 1989 teilte Handke Hermann Lenz mit, „die letzte Buch-
besprechung meines Lebens“ geschrieben zu haben, um diese Ankündigung
aber sogleich durch den Nachsatz „(fürs erste die letzte)“ zu relativieren.249 Tat-
sächlich bildet das Schreiben über Bücher und Literatur bis in die unmittelbare
Gegenwart einen wesentlichen Teil von Handkes schriftstellerischer Arbeit und
ist dabei aufs Engste mit seinem literarischen Schreiben verknüpft.250 Er setzt sich
einerseits „[k]raft seines berühmten Namens“ für andere Autoren ein (es han-
delt sich fast durchwegs um Männer), um sie gewissermaßen im Windschatten
der Aufmerksamkeit einem größeren Publikum zu präsentieren.251 Andererseits
reflektiert er im Nachvollzug und in der Beschreibung ‚fremder‘ Erzählverfah-
ren stets auch die eigene Poetik, die eigene ‚Schreibregel‘: Handkes Rezensionen
sprechen, mehr oder weniger explizit, immer auch von seinen eigenen Texten,
von seiner eigenen Vorstellung von Literatur.
Wenn sich Autorinnen und Autoren über andere Schreibende äußern und
deren Texte, sei es kritisch oder zustimmend, in den Blick nehmen, dann sind
diese Kommentare, wie Klaus Amann pointiert festgehalten hat, stets unaus-
weichlich „mit dem eigenen Schreiben verbunden“, sind von diesem „nicht zu
trennen“: „Wer als Schriftsteller über das Schreiben anderer spricht, gibt, ob er
will oder nicht, Auskunft über sein eigenes Schreiben, über das, was er können
oder nicht können möchte, womit er kämpft, was er für möglich hält, was ihm
geglückt oder misslungen ist.“ 252 Nicht zuletzt deshalb bieten Peter Handkes
‚Begleitschreiben‘ zu den Texten anderer Schriftstellerinnen und Schriftsteller,
seine begeisterten Empfehlungen wie seine mitunter harschen Einwände, auch
vielfältige und aufschlussreiche Zugänge zum im engeren Sinne literarischen
Werk des Autors.
249 Handke an Lenz, 15. 11. 1989. In: Handke/Lenz: Berichterstatter des Tages (Anm. 35), S. 246.
250 Haslinger: Peter Handke (Anm. 3), S. 95, hat in diesem Zusammenhang betont: „Die Rezen-
sionsarbeit brachte Handkes literarischer Entwicklung viel.“
251 Pichler: Die Beschreibung des Glücks (Anm. 3), S. 121. Vgl. dazu Struck: Der Begleitschreiber
(Anm. 65), S. 20.
252 Klaus Amann: Das Wie des Was. Vorwort. In: Freund und Feind. Alois Brandstetter u. a. über
ihre literarischen Vorbilder, Widersacher und Nebenbuhler. Hg. v. K. A. u. Fabjan Hafner. Wien:
Sonderzahl 2006, S. 7 – 14, hier S. 13. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 271
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
- II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- Einsprüche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
- „Über diesen Roman wären nicht so viele böse Worte zu verlieren …“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, Verbündete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche Schwätzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
- „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der Bühne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der Dürre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als ‚leeres Geschäft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚Natürlichkeit‘ 150
- Die „ästhetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses Unglück) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshändige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- Schnüffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der Lektüre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut Färber 246
- „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- „wirklich unorthodox“: Handke über/mit Ödön von Horváth 259
- Keine Axt für das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- „Kanzlist, Kofferträger und Kunstkritiker“ 289
- „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
- „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
- „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekärer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471