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Schlechten,19 als wichtige Orientierungsinstanz dienen, wobei sich Bernhards
diesbezügliche Äußerungen stets „zwischen den Polen der Identifikation und
der Abgrenzung“ bewegen.20 Auch vielen Protagonisten hat er diese Prägung
mit auf den Lebensweg gegeben. „Wenn wir von unserem Großvater / nichts
als Schopenhauer erben / können wir uns in jedem Fall / glücklich schätzen“
(TBW 20, 24), lässt er etwa den alten Schauspieler in Einfach kompliziert (1986)
sagen. Konstellationen wie diese tauchen in Bernhards Prosa- und Theatertexten
immer wieder auf. Zahlreiche Bühnenfiguren
– etwa Caribaldi in Die Macht der
Gewohnheit (1974) oder Bruscon in Der Theatermacher (1984) – tragen charak-
terliche Züge des Großvaters; der Autor selbst hat bereits im Filmmonolog Drei
Tage von 1970 darauf hingewiesen, dass die von ihm gezeichneten „Männerfiguren“
im Grunde immer seinem „Großvater, mütterlicherseits“ ähneln (TBW 22.2, 55).21
Wiederholt hat er einzelne Biographeme aus dem Leben Freumbichlers in Texte
eingearbeitet, etwa wenn er Schriftsteller- und Gelehrtenfiguren
– dem Vorbild
seines Großvaters folgend
– in eine „alte Pferdedecke“ (TBW 18, 267) eingehüllt
am Schreibtisch sitzen lässt.22 „Der Großvater schnürte sich mit einem Leder-
gurt seine Pferdedecke um den Leib und setzte sich an den Schreibtisch“, heißt
es in Ein Kind (1982) über Freumbichlers tägliche Schreibexerzitien (TBW 10,
426), die Bernhard im selben Jahr den an seinem Werk verzweifelnden Musik-
wissenschaftler in Beton nachvollziehen lässt: „Ich stand auf und wickelte mich
in die Decke, in die von meinem Großvater mütterlicherseits ererbte Pferdedecke,
ich schnürte die Decke mit dem Ledergurt, den ich genauso wie die Decke von
meinem Großvater geerbt habe, so fest als möglich zu, so fest, daß ich gerade
noch atmen konnte und setzte mich an den Schreibtisch.“ (TBW 5, 9) Zudem hat
die Forschung auf die Übereinstimmung zwischen Formulierungen, die in Die
Kälte (1981) dem Großvater in den Mund gelegt werden, und Äußerungen des
„Weltverbesserers“ im gleichnamigen Theaterstück von 1979 hingewiesen 23
– und
19 Rudolf Brändle: Zeugenfreundschaft. Erinnerungen an Thomas Bernhard. [1999] Frank-
furt a. M.: Suhrkamp 2001, S. 15, spricht vom „prägende[n] und doch abschreckende[n] Vor-
bild des Großvaters“.
20 Mittermayer: Die Stimme des alten Meisters (Anm. 13), S. 35.
21 Vgl. dazu Uwe Betz: Der Großvater als Dramaturg, Double und Farce. Zur steten Wiedergeburt
der Ahnen in Thomas Bernhards Werk. In: Bernhard-Tage Ohlsdorf 1999. „In die entgegen-
gesetzte Richtung“. Thomas Bernhard und sein Großvater Johannes Freumbichler. Materia-
lien. Hg. v. Franz Gebesmair u. Manfred Mittermayer. Weitra: Bibliothek der Provinz [2000],
S. 100 – 131; Bernhard Judex: Die Persiflage des Geistesmenschen. Thomas Bernhard und die
Figur des Großvaters. Konstruktionen biografischer und literarischer Identität. In: Thomas
Bernhard. Persiflage und Subversion. Hg. v. Mireille Tabah u. Manfred Mittermayer. Würz-
burg: Königshausen & Neumann 2013, S. 189 – 205.
22 Vgl. Nina Birkner: Vom Genius zum Medienästheten. Modelle des Künstlerdramas im 20.
Jahr-
hundert. Tübingen: Niemeyer 2009, S. 245 f.
23 Vgl. etwa Mittermayer: Die Stimme des alten Meisters (Anm. 13), S. 38.
„Zeitungsg’schicht’ln“: Thomas Bernhard als
Literaturkritiker278
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
- II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- Einsprüche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
- „Über diesen Roman wären nicht so viele böse Worte zu verlieren …“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, Verbündete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche Schwätzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
- „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der Bühne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der Dürre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als ‚leeres Geschäft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚Natürlichkeit‘ 150
- Die „ästhetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses Unglück) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshändige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- Schnüffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der Lektüre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut Färber 246
- „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- „wirklich unorthodox“: Handke über/mit Ödön von Horváth 259
- Keine Axt für das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- „Kanzlist, Kofferträger und Kunstkritiker“ 289
- „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
- „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
- „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekärer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471