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das silberboot reaktiviert und sich, u. a. mit dem Abdruck von Texten Hermann
Brochs, Franz Kafkas und Robert Musils, der âverschĂŒttete[n] Tradition der
österreichischen Moderneâ angenommen,92 zeigte das Salzburger Lesungspro-
gramm der 1950er Jahre eine recht deutliche konservative und literarisch biedere
Schlagseite. Bernhards Eloge auf Lorenz Macks Roman Das GlĂŒck wohnt in den
WÀldern⊠mutet, zumal mit Blick auf die spÀtere Agitation gegen Natur, Hei-
mat und lÀndliche Behaglichkeit, in seiner naiven PositivitÀt beinahe kurios an:
Hier wird uns der Wald mit seinen tausend und abertausend Wundern geschildert,
mit seinen frĂŒhen und spĂ€ten Wandlungen im Laufe der Jahreszeiten, das GlĂŒck und
UnglĂŒck zweier Liebender, die schlieĂlich â nach den immer wiederkehrenden Ent-
tĂ€uschungenÂ
â im Glauben an die GröĂe und Schönheit des Lebens aufgehen. GröĂe
und Schönheit des Lebens, das kann uns ergreifen, zum Guten stimmenÂ
⊠Ohne Effekt
geschrieben, nur âaus sich selbst gewachsenâ, könnte man zu diesem Buch sagen, das
uns in dieser Zeit der inneren Unruhe selbst wie eine wunderbare Lichtung im Wald
der jungen Literatur dĂŒnkt (in dem nicht immer das GlĂŒck wohnt), in der wir getrost
und liebend ruhen können. (TBW 22.1, 89)
Seine nachtrĂ€glichen BemĂŒhungen, âdiese Jahre umzudeuten und sich als einen
frĂŒhreifen Querulanten und Skeptiker darzustellenâ, stehen zu den ĂŒberlieferten
Texten der ersten HĂ€lfte der 1950er Jahre in denkbar groĂem Kontrast.93 Bernhards
Arbeiten fĂŒr das Demokratische Volksblatt verraten einige âUnsicherheit in Wer-
tungsfragenâ;94 zudem sind sie Ausdruck einer nicht nur in Salzburg, sondern
in groĂen Teilen der österreichischen Kulturlandschaft der Nachkriegszeit vor-
herrschenden ârestaurative[n] Tendenzâ.95 Hans Höller hat in seiner Biographie
einen Teil der journalistischen BeitrĂ€ge des Autors als geradezu âunertrĂ€glich
positivâ beschrieben.96
Kritik an den lesenden Schriftstellerinnen und Schriftstellern ĂŒbte Bernhard
im Demokratischen Volksblatt meist âvornehm zurĂŒckhaltendâ 97 bzw. in recht all-
gemeiner Form: âEs gibt viel Spreu unter dem dĂŒnngesĂ€ten Weizenâ (TBW 22.1,
88). Lediglich in einem kurzen Lesungsbericht vom 2. April 1954 formuliert er
92 Wendelin Schmidt-Dengler: Bruchlinien. Vorlesungen zur österreichischen Literatur 1945 bis
1990. Salzburg, Wien: Residenz 1995, S.Â
52. Dazu auch Hildemar Holl: Literaturgeschichte Salz-
burgs von 1945 bis zur Gegenwart. In: Salzburg. Zwischen Globalisierung und Goldhaube. Hg.
v. Ernst Hanisch u. Robert Kriechbaumer. Wien u. a.: Böhlau 1997, S. 671 â 734, hier S. 675 f.
93 Klug: Thomas Bernhards Arbeiten (Anm. 28), S. 137.
94 Polt-Heinzl: Thomas Bernhard betritt die Wiener Szene (Anm. 66), S. 59.
95 Billenkamp: Thomas Bernhard (Anm. 14), S. 57.
96 Höller: Thomas Bernhard (Anm. 76), S. 51.
97 Manfred Mixner: Vom Leben zum Tode. Die Einleitung des Negations-Prozesses im FrĂŒhwerk
von Thomas Bernhard. In: Bernhard. AnnĂ€herungen (Anm. 51), S. 65 â 97, hier S. 66.
Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 299
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471