Seite - 303 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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äußerte Bernhard sich schließlich doch konzilianter über Effenberger, deren Verse
er nun als „zuchtvoll und klar“ beschrieb; ihre „Gedanken“ hätten, so Bernhard,
„manchmal aufhorchen lassen“ (TBW 22.1, 320). Die Rivalität mit Amanshauser
indes blieb auch in der Folgezeit bestehen.
Neben Beiträgen über Lesungen österreichischer Autorinnen und Autoren
finden sich im Demokratischen Volksblatt auch zahlreiche Artikel Bernhards zur
amerikanischen Literatur. Er besuchte regelmäßig Veranstaltungen des 1945 eröff-
neten und überaus populären „Amerikahauses“ am Alten Markt 112 und berichtete
über Abende, bei denen, von Schauspielern wie Heinz Moog oder Helene Thimig
gelesen, dem Salzburger Publikum Werke von Clarence Day, Emily Dickinson,
Eugene O’Neill, Ezra Pound, William Saroyan, James Thurber und Thornton
Wilder vorgestellt wurden.113 Das „Amerikahaus“ war Teil der amerikanischen
Fördermaßnahmen zur „kulturelle[n] Neuorientierung“ in der Besatzungs-
zeit, die großzügige Investitionen „auch in das Buch- und Verlagswesen“ mit
sich brachten.114 Während er an einer Lesung aus Ernest Hemingways Wem die
Stunde schlägt Kritik übte, weil man „just das unbedeutendste ‚fleischigste‘ und
undichterischste Kapitel“ ausgewählt hatte (TBW 22.1, 126),115 zeigte er sich am
2.
Dezember 1952 über die Präsentation des Romans Schau heimwärts, Engel! von
Freundin eine vernichtende Kritik geschrieben habe. Über Laßl hat Thomas geschrieben: Der
macht Gedichte, wie ein anderer eine Spanschachtel macht. Daraufhin haben Dr. Laßl und
dessen Freundin Thomas zu sich eingeladen. Sie glaubten, Bernhard wäre ein Unikum, kamen
aber zur Überzeugung, daß er eigentlich ein nettes Bürschchen ist. […] Und jetzt rühmt sich
Laßl, daß er mich 20 Jahre kennt, ja, aber wie das damals war, auf das kommt es ja an.“ (Karl
Ignaz Hennetmair: Ein Jahr mit Thomas Bernhard. Das versiegelte Tagebuch 1972. St. Pölten
u. a.: Residenz 52014, S. 95 f.)
112 Vgl. Waitzbauer: Thomas Bernhard in Salzburg (Anm. 47), S. 89: „In der ersten Hälfte der
fünfziger Jahre zählt das Amerikahaus in Salzburg zu den populärsten amerikanischen Ein-
richtungen in Österreich. Allein von Jänner bis August 1950 werden über 300.000 Besucher
gezählt.“ Die Veranstaltungen des „Amerikahauses“ fanden zum Teil auch im Wiener Saal des
Mozarteums statt; im August 1954 übersiedelte die Einrichtung in ein Gebäude an der Ecke
Münzgasse-Griesgasse (vgl. ebd., S. 90 f.).
113 Vgl. Bernhard Judex/Manfred Mittermayer: Literatur. In: Bernhard-Handbuch (Anm. 84),
S.
373 – 380, hier S.
376 f.: „Wichtige Vertreter der angloamerikanischen Literatur hatte Bernhard
bereits während seiner Tätigkeit als Journalist im Salzburg der 1950er Jahre kennengelernt,
als das Kulturleben der Stadt noch von den US-Alliierten mitgeprägt wurde. Überhaupt ist
Bernhards Tätigkeit als Kulturredakteur und Verfasser von Feuilletons hinsichtlich seiner
Lektüre- Biographie nicht zu unterschätzen, lernte er doch dadurch zahlreiche Autoren nament-
lich kennen, die durch Übersetzungen auf den deutschsprachigen Buchmarkt kamen.“
114 Müller: Zäsuren ohne Folgen (Anm. 25), S. 258.
115 Dort heißt es weiter: „Die kaum heißblütige Liebesszene im Rahmen des spanischen Bürger-
krieges, zwischen dem schönen Mädchen Marie und dem kraftstrotzenden jungen Mann aus
dem westlichen Kontinent, heuschoberhaft anmutend, erreichte denn auch nicht die erhoffte
Wirkung.“ (TBW 22.1, 126)
Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 303
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
- II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- Einsprüche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
- „Über diesen Roman wären nicht so viele böse Worte zu verlieren …“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, Verbündete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche Schwätzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
- „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der Bühne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der Dürre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als ‚leeres Geschäft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚Natürlichkeit‘ 150
- Die „ästhetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses Unglück) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshändige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- Schnüffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der Lektüre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut Färber 246
- „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- „wirklich unorthodox“: Handke über/mit Ödön von Horváth 259
- Keine Axt für das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- „Kanzlist, Kofferträger und Kunstkritiker“ 289
- „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
- „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
- „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekärer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471