Seite - 307 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Bild der Seite - 307 -
Text der Seite - 307 -
Erinnerungsbuch an den âParadelyriker des Dritten Reichsâ 128 erschien, versam-
melte es BeitrĂ€ge vieler prominenter Akteure im NS-Kulturbetrieb â etwa von
Bruno Brehm, Maria Grengg, Robert Hohlbaum, Mirko Jelusich und Friedrich
Schreyvogl, aber auch von den Philologen Heinz Kindermann, Josef Nadler und
Adalbert Schmidt. Der von Heinrich Zillich herausgegebene Band knĂŒpfte nicht
nur personell, sondern auch mit dem Titel Bekenntnis zu Josef Weinheber osten-
tativ an die Tradition des Bekenntnisbuchs von 1938 an.129
Thomas Bernhard hob die Gedichte Weinhebers bereits im Dezember 1952
anlÀsslich der PrÀsentation des im Salzburger Pfad Verlag erschienenen Bandes
Die schöne Stadt positiv hervor (vgl. TBW 22.1, 91). âO Salzburg, schöne Stadt! So
frauen
feinÂ
/ und mĂ€nnerhart wie du will keine scheinenâ, heiĂt es dort in Weinhebers
Hymne An Salzburg, die zunĂ€chst 1941 in der Anthologie Das FlĂŒgelroĂ veröffent-
licht wurde: âEs klingt der Stein. Es eifert in den SteinenÂ
/ ein derbes Deutsch, ein
zierliches Latein.â 130 In der Folge hat Bernhard den Wiener Autor in zwei Berichten
fĂŒr das Demokratische Volksblatt erwĂ€hnt (vgl. TBW 22.1, 147 u. 270), ohne dabei
die Diskussionen um Weinhebers Person einige Jahre zuvor bzw. dessen Rolle als
poeta laureatus der Nationalsozialisten â er war mit Abstand der am meisten in
NS-Anthologien gedruckte österreichische Dichter 131Â
â zur Sprache zu bringen.
In der am 8. Juni 1953 publizierten Streitschrift Wo sind die österreichischen
Dichter? beklagt Bernhard, dass in den Schaufenstern der Salzburger Buchhand-
lungen vornehmlich englisch- und französischsprachige Literatur zu finden sei,
wĂ€hrend man ânur sehr, sehr selten Kunde von der Existenz eines Franz Nabl
oder einer Paula Groggerâ erhalte (TBW 22.1, 168). Der Vergleich, den der junge
Csokor, Theodor Kramer und Alexander Lernet-Holenia solche mit einem ganz unterschied-
lichen biographischen und Ă€sthetischen Background â fĂŒr Weinheber ein: âDeutlich getrennt
wurden somit Weinhebers politisches Engagement fĂŒr den Nationalsozialismus und seine
Quali
tÀten als Dichter: Als solcher wurde er von österreichischen Autoren der Nachkriegszeit
aller Couleur in Schutz genommen und hochgeschĂ€tzt.â (Roland Innerhofer: âIn der Tat brau-
chen wir nur dort fortzufahren, wo uns die TrĂ€ume eines Irren unterbrochen habenâ. Kontinui-
tÀten in der österreichischen Literatur von der Ersten zur Zweiten Republik. In: Poetologien
deutschsprachiger Literatur 1930 â 1960. KontinuitĂ€ten jenseits des Politischen. Hg. v. Moritz
BaĂler, Hubert Roland u. Jörg Schuster. Berlin, Boston: de Gruyter 2016, S.Â
105 â 117, hier S.Â
110)
128 Strigl: Spurensicherung (Anm. 33), S. 66.
129 Vgl. Bekenntnis zu Josef Weinheber. Erinnerungen seiner Freunde. Hg. v. Heinrich Zillich.
Salzburg: Akademischer Gemeinschaftsverlag 1950. Zu diesem Band vgl. Strigl: Spurensiche-
rung (Anm. 33), S. 70 f.; Polt-Heinzl: Die grauen Jahre (Anm. 3), S. 51 â 53.
130 Josef Weinheber: An Salzburg (FĂŒr ein Salzburger Dichterbuch, 1941). In: Die schöne Stadt.
Ein lyrischer Spaziergang. Hg. v. Eligius Scheibl. Salzburg: Pfad 1952, S. 11.
131 Vgl. MĂŒller: ZĂ€suren ohne Folgen (Anm. 25), S. 319 â 322. In MĂŒllers Auswertung der Ver-
öffentlichungen in NS-Anthologien belegt Josef Weinheber mit 33 Publikationen vor Karl
Springenschmid (26), Bruno Brehm, Robert Hohlbaum (beide 25) und Erna Blaas (21) den
ersten Platz. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 307
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471