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Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Seite - 355 -
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Zuerst dieser gemeine und niedertrĂ€chtige Nationalsozialismus und dann dieser gemeine und niedrige und verbrecherische Pseudosozialismus, habe ich zu Gambetti auf dem Pincio gesagt, dachte ich jetzt an der offenen Gruft. Diese nationalsozialistische und pseudosozialistische Zerstörung und Vernichtung unseres österreichischen Vater- landes in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Katholizismus, von welchem fĂŒr dieses Österreich immer nur Unheil ausgegangen ist.  [
] Dieses um alles betrogene österreichische Volk, habe ich zu Gambetti gesagt, dem in den letzten Jahrhunder- ten auf die infamste Weise der Verstand ausgetrieben worden ist von Katholizismus, Nationalsozialismus und Pseudosozialismus, Gambetti, habe ich zu Gambetti gesagt, dachte ich jetzt. (TBW 9, 506)35 Bereits zuvor hatte Murau, auf dem Familiensitz in Wolfsegg eingetroffen, das BegrĂ€bnis seiner Eltern und seines Bruders imaginiert, die bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind. Wenn er dabei nicht nur die „Erzbischöfe“ und „die Gauleiter und die SS-ObersturmbannfĂŒhrer und BlutordentrĂ€ger“ hinter den SĂ€r- gen hergehen lĂ€sst, sondern auch beschreibt, dass „unser national sozialistisch- katholisches Volk“, das an der Trauerfeier teilnimmt, „die nationalsozialistischen Böller“ abfeuert, und darĂŒber sinniert, ob „wĂ€hrend der ganzen Zeremonie unsere nationalsozialistisch-katholische Sonne“ scheinen oder „der national- sozialistisch-katholische Regen“ auf die GĂ€ste niederprasseln werde (TBW 9, 348), wird deutlich: Muraus Tiraden ist, neben ihrem Verweis auf die verheerende Gewaltgeschichte des 20.  Jahrhunderts, auch ein Moment ironischer Selbstbe- zĂŒglichkeit eigen.36 Derart literarisch durchgearbeitete, in ihrer Bezichtigungs- rhetorik heißlaufende Passagen haben im SpĂ€twerk Bernhards den Charakter von ‚Selbst pastiches‘, wie sie GĂ©rard Genette exemplarisch beschrieben hat: Der spĂ€te Bernhard ist geradezu ein Paradefall fĂŒr einen Autor, der „seinen Idio- lekt betont, indem er dessen typische Merkmale hĂ€uft oder ĂŒbertreibt“, was von geneigten Leserinnen und Lesern als „ironisches Selbstpastiche, oder, wie man gelĂ€ufiger sagt, als ‚Parodie seiner selbst‘, beurteilt“ wird.37 Aus der Überdrehung 35 Vgl. Renate Langer: Hitlerbild und Kreuz. Nationalsozialismus und Katholizismus bei Thomas Bernhard. In: Thomas Bernhard Jahrbuch 2007/2008, S.  21 – 35, hier S.  27; dort umfassen- der zur „enge[n] Verflechtung von Katholizismus und Nationalsozialismus“ (ebd., S.  23) in Bernhards Werk. 36 Vgl. die folgende Passage aus Alte Meister (1985), in der sich der Musikphilosoph Reger ĂŒber GemĂ€lde im Wiener Kunsthistorischen Museum ereifert: „Betrachten Sie doch einmal einen gutgemalten Kopf hier lĂ€ngere Zeit, am Ende ist es doch nur ein katholischer, so Reger. Selbst das Gras auf diesen GemĂ€lden wĂ€chst als ein katholisches und selbst die Suppe in den hollĂ€n- dischen SuppenschĂŒsseln ist nichts als die katholische Suppe.“ (TBW 8, 190) 37 GĂ©rard Genette: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993, S.  168.  – Vgl. dazu bereits Willi Huntemann: Artistik und Rollenspiel. Das System Thomas Bernhard. WĂŒrzburg: Königshausen & Neumann 1990, S.  212 f., der auf die Technik der Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 355 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Titel
Strategen im Literaturkampf
Untertitel
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Autor
Harald Gschwandtner
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2021
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Abmessungen
15.7 x 23.9 cm
Seiten
482
Schlagwörter
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Kategorie
Kunst und Kultur

Inhaltsverzeichnis

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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