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und Ăbertreibung der polemischen Rhetorik â wenn sogar der Witterung eine
nazistische PrĂ€gung zugeschrieben wirdÂ
â ergibt sich dabei einerseits die âEinsicht
in die Austauschbarkeitâ der verwendeten Begriffe und attackierten Institutionen,
andererseits geht, so Hans Höller, mit Muraus âmanichĂ€ischer Entlarvung der
Weltâ stets auch die âSelbstentlarvung des manichĂ€ischen Subjektsâ einher.38 Ent-
sprechend ist die Tendenz zum âSelbstpasticheâ in Bernhards SpĂ€twerk sowohl als
Ausdruck der Àsthetischen Stagnation als auch als konsequente Weiterentwick-
lung und Perfektionierung eines literarischen Verfahrens interpretiert worden.
Bernhards Attacken gegen Bruno Kreisky mĂŒssen stets vor der skizzierten
Folie, also angesichts seiner insistierenden, wenngleich kaum analytisch belast-
baren BeschĂ€ftigung mit âSozialismusâ und âPseudosozialismusâ, in den Blick
genommen werden. An der Person des Bundeskanzlers entzĂŒndeten sich die
Polemiken des Autors wohl deshalb besonders heftig, weil er sich in der Bevöl-
kerung groĂer Beliebtheit und allgemeiner Anerkennung erfreute: Bernhard
âschlugâ, so Wendelin Schmidt-Dengler, gerne und mit besonderer Lust âdort
zu, wo ein Konsensmaximum zu vermuten warâ.39 Dieses âKonsensmaximumâ
forderte den Autor in besonderer Weise heraus und schĂŒrte seine Bereitschaft,
als erklÀrter Non-Konformist vehement Einspruch zu erheben: Im GesprÀch mit
Krista Fleischmann hat Bernhard dies 1986 in nachgerade aphoristischer KĂŒrze
festgehalten: âMan soll immer dort hingehen, wo ein Kontrast ist.â (TBW 22.2,
324) Auch seine einmalige RĂŒckkehr als (Literatur-)Kritiker stand unter diesem
Zeichen, feierte man 1981 doch nicht nur ein rundes JubilÀum des Politikers
Kreisky, sondern auch die seit mehr als einem Jahrzehnt andauernde âĂra Kreiskyâ.
âSelbstimitationâ bei Bernhard hinweist: âBernhards Schreiben ist, insoweit sich die Komik aus
der Form-Inhalt-Relation herleitet, selbstparodistisch, Bernhard ist sein eigener âStimmenimi-
tatorâ und damit das GegenstĂŒck zum Stimmenimitator in der gleichnamigen Geschichte, der
sein Publikum durch die Vielzahl der von ihm imitierten Stimmen verblĂŒfft.â Huntemann ver-
anschaulicht diese Tendenz im SpÀtwerk des Autors u. a. anhand der Dramolette in den BÀnden
Der deutsche Mittagstisch und Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen, aber
auch am Beispiel anderer Prosa- und Theaterarbeiten.Â
â Zum âSelbstpasticheâ bei Bernhard vgl.
Marcus Hahn: Geschichte und Epigonen. â19.Â
Jahrhundertâ / âPostmoderneâ, StifterÂ
/ Bernhard.
Freiburg i. Br.: Rombach 2003, S.Â
461 â 465, der von einer âradikalen Hyperbolisierung des eige-
nen Textverfahrensâ spricht (ebd., S. 465).
38 Hans Höller: Auslöschung als Comédie humaine der österreichischen Geschichte. In: H. H.:
Der unbekannte Thomas Bernhard. Mattighofen: Korrektur 2014, S. 95 â 106, hier S. 104.
39 Wendelin Schmidt-Dengler: â⊠das fortgeschrittenste Land ohne es zu wissenâ. Unbewusster
Avantgardismus aus Ăsterreich. Hg. v. Michael Rohrwasser. Innsbruck u. a.: StudienVerlag
2009, S. 69. Dazu bereits ders.: Der ĂbertreibungskĂŒnstler. Studien zu Thomas Bernhard.
Wien: Sonderzahl 1986, S. 102: âWo der Konsens am gröĂten, ist Bernhards Lust zum Schel-
ten am gröĂten, ob Kreisky, ob Canetti, ob die Akademie fĂŒr Sprache und Dichtung â immer
dort, wo das Wohlwollen und die Einigung eine Plattform des Redens ermöglicht, entfernt sich
Bernhard unter wĂŒster Beschimpfung.â
Rezensionen, die keine sind: Kritik und Selbstkritik bei Thomas
Bernhard356
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471