Seite - 377 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Romanprojekt hatte schon einige Monate zuvor festgestanden; die Publikation
des Buches verzögerte sich in den folgenden Jahren jedoch ein ums andere Mal.
Mehrmals musste der Erscheinungstermin verschoben werden, weil der Autor
sein Manuskript â auch aus taktischen GrĂŒnden, um den Verleger finanziell
unter Druck zu setzen â nicht aus der Hand geben wollte. Erst im September
1975 konnte das Buch ausgeliefert werden.105
Er habe, so Bernhard am 18. Oktober 1972, bei der Arbeit am Roman âdie
grösste Anstrengung mit dem grösstmöglichen GlĂŒcksfall einer ununterbro-
chenen Angespanntheit [âŠ] vereinigen könnenâ,106 der Abschluss des Projekts
schien zu diesem Zeitpunkt, geht man nach Bernhards brieflichen AuskĂŒnften,
durchaus absehbar. Noch im Juli 1974 musste Unseld nach einem Treffen mit
dem Autor aber zĂ€hneknirschend dessen âgroĂen Drang zur Perfektionâ ver-
merken, der ihn erneut von der Ăbergabe des Manuskripts abgehalten habe.107
Zuvor hatte Bernhard im MĂ€rz des Jahres seinem Verleger mitgeteilt, gegen-
wĂ€rtig âan der vierten Dimension der âKorrekturââ zu arbeitenÂ
â âdie âKorrekturâ
wird seit Monaten einer nochmaligen Korrektur unterzogenâ;108 er befand es im
Mai dennoch als ânicht richtigâ, das Buch zum jetzigen Zeitpunkt zu veröffent-
lichen.109 Die Publikation des Romans im Herbst 1975 wurde schlieĂlich vom
zeitgleichen Erscheinen von Die Ursache. Eine Andeutung, dem ersten Band der
Bernhardâschen Autobiographie, im Salzburger Residenz Verlag ĂŒberschattet â
der Beginn eines Konflikts zwischen Bernhard und Unseld, der bis zum Tod des
Autors mal schwelen, mal lodern sollte.110
Was der von Bernhard ĂŒberaus geschĂ€tzte Henry James 111 in der 1893 erschiene-
nen ErzĂ€hlung The Middle Years als âIdealâ des gealterten Schriftstellers Dencombe,
105 Zur Entstehungsgeschichte des Romans vgl. ausfĂŒhrlich den Kommentar in: TBW 4, 321 â 343;
zum VerhÀltnis von Autor und Verleger in diesem Prozess Manuela Dressel: Thomas Bernhard
und seine Verleger. Wien: danzig & unfried 2014, S. 74 â 85.
106 Bernhard an Unseld, 18. 10. 1972. In: Bernhard/Unseld: Der Briefwechsel (Anm. 2), S. 301.
107 Unseld: Chronik, Juli 1974. In: ebd., S. 441.
108 Bernhard an Unseld, 25. 3. 1974. In: ebd., S. 422.
109 Bernhard an Unseld, 30. 5. 1974. In: ebd., S. 431.
110 Dazu Dressel: Thomas Bernhard und seine Verleger (Anm.Â
105), S.Â
88 â 110; Bernhard Sorg: Der
Berechnende und der Geduldige. Ein Schriftsteller und sein Verleger. In: Text + Kritik (42016),
H. 43, S. 41 â 51.
111 Vgl. die entsprechende Stelle im Filmmonolog Drei Tage (1970; TBW 22.2, 63), aber auch die
von Unseld notierte Bemerkung Bernhards ĂŒber sein StĂŒck Vor dem Ruhestand (1979), an des-
sen Beginn ein Motto von Henry James steht: âDas StĂŒck sei so ruhig wie ein Strindberg-StĂŒck,
ein Traumspiel in gewisser Weise, es sei, so Bernhard, eine Mischung aus Strindberg und Henry
James.â (2. 4. 1979, Bernhard/Unseld: Der Briefwechsel [Anm. 2], S. 556) Bereits 1968 hatte
Bernhard in seiner nicht gehaltenen Dankesrede zur Verleihung des Anton-Wildgans-Preises
James in einer Reihe mit Alexander Blok und Ludwig Wittgenstein genannt (vgl. TBW 22.2, 28).
In Ritter, Dene, Voss (1984) geben die beiden Schwestern die Aussage ihres Vaters wieder, âvon
Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 377
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471