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Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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geblieben (TBW 4, 157 f.).130 Die Selbstkorrektur als Ausdruck radikaler Skepsis greift vom Schreiben am Ende auf das Leben ĂŒber: Schreckt Roithamer vor der letzten Konsequenz seines Tuns, der „eigentliche[n] Korrektur“ (TBW 4, 286), d. h. dem Selbstmord, zunĂ€chst zurĂŒck, ist in der ErzĂ€hlzeit des Romans, der mit dem Bericht ĂŒber den „Selbstmord meines Freundes Roithamer“ einsetzt (TBW 4, 7), bereits klar, dass er auch diesen Schritt vollzogen hat  – ohne jedoch seinen schriftlichen Nachlass zu vernichten und ihn damit vor dem Zugriff der Nachwelt zu bewahren.131 In der Figur Roithamers stilisiert Bernhards Korrektur die Monomanie einer kĂŒnstlerisch-intellektuellen Praxis, wobei die Wiederholungsstruktur des Textes und sein hyperbolisch-superlativischer Gestus durchaus komische Effekte zeitigen. Zugleich verweist die tragische Geschichte des Architekten aber auch auf die Entstehung jenes Buches, in dem diese Geschichte erzĂ€hlt wird  – etwa auf das Problem des Abschlusses eines kreativen Prozesses. Es liegt deshalb nahe, den Roman mit Andreas GĂ¶ĂŸling auch und im Besonderen als „Selbstreflexion“ eines „Àsthetischen Verfahrens“ zu begreifen.132 Die geschil- derte „Gewalt gegen das zu Korrigierende“ 133 ist, zieht man die Textgenese von Korrektur in Betracht, eminent poetologisch aufgeladen: Sie stellt jenen Modus permanenter Selbstkritik ins Zentrum, den Bernhard auch fĂŒr seine eigene literarische Praxis reklamiert hat. „[E]s ist immer der gleiche Vorgang“, so Bernhard im Dezember 1969 in einem Brief an seine Lektorin Anneliese Botond in Bezug auf Das Kalkwerk (1970), „das Buch ist fertig und zerfĂ€llt dann plötzlich in der Nacht, die TrĂŒmmer liegen vor mir und ich habe wieder mein VergnĂŒgen daran.“ 134 Im 1971 publizierten Prosatext Am Ortler. Nachricht aus 130 Dazu GĂ¶ĂŸling: Thomas Bernhards frĂŒhe Prosakunst (Anm.  113), S.  298 f. Roithamer versuche, so GĂ¶ĂŸling weiter, das Manuskript „dadurch zu retten, daß er alles Disparate tilgt, die Zeichen mehr und mehr verdichtet; aber dieser Prozeß, einmal begonnen, gerĂ€t sogleich außer Kontrolle: Mehr und mehr Elemente lösen sich als disparat ab, stĂ€rker und stĂ€rker muß er verdichten, um das System zu retten“ (ebd., S.  304).  – Vgl. auch Hans Höller: Wie die Form der Sprache das Denken des Lesens ermöglicht. Der analytische Charakter von Bernhards Sprache. In: Rhetorik und Sprachkunst bei Thomas Bernhard (Anm.  27), S.  81 – 90, hier S.  88, sowie Heyl: Zeichen und Dinge (Anm.  111), S.  125. 131 Vgl. dazu Billenkamp: Thomas Bernhard (Anm.  26), S.  204: „Mit jedem Revidieren des von ihm Geschriebenen korrigiert Roithamer auch sich selbst. Den finalen Schritt, der darin besteht, die Aufzeichnungen nach der letzten Überarbeitung zu verbrennen, vollzieht er entgegen seiner ursprĂŒnglichen Planung nicht mehr.“ 132 GĂ¶ĂŸling: Thomas Bernhards frĂŒhe Prosakunst (Anm.  113), S.  305. 133 Thill: Die Kunst, die Komik und das ErzĂ€hlen (Anm.  113), S.  211. 134 Thomas Bernhard an Anneliese Botond, 7. 12. 1969. In: Anneliese Botond: Briefe an Thomas Bernhard. Mit unbekannten Briefen von Thomas Bernhard. 1963 – 1971. Hg. v. Raimund Fellinger. Mattighofen: Korrektur 2018, S.  170; zuerst gedruckt in: Text + Kritik (42016), H.  43, S.  5 – 6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft 383 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Titel
Strategen im Literaturkampf
Untertitel
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Autor
Harald Gschwandtner
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2021
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Abmessungen
15.7 x 23.9 cm
Seiten
482
Schlagwörter
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Kategorie
Kunst und Kultur

Inhaltsverzeichnis

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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