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auch als schonungslose und fatale Karikatur des KĂŒnstlers und seiner âSehnsucht
nach Anerkennungâ.167 Wie es fĂŒr den erst gegen Ende seiner Karriere mit Ehrungen
ĂŒberhĂ€uften Schriftsteller Moritz Meister in Ăber allen Gipfeln ist Ruh (1981) eine
andauernde KrĂ€nkung darstellt, einst âfĂŒnfunddreiĂig Jahre ohne Echoâ geblieben
zu sein (TBW 18, 225), steht auch das Selbstbild Bruscons in einer offensichtlichen
AbhÀngigkeit vom Urteil und von der BestÀtigung anderer.
Hier wie dort, in der Fiktion der ErzÀhl- und Theatertexte wie in der Praxis
als Schriftsteller, verschrĂ€nken sich âSelbstkritik und NarziĂmusâ 168 auf prekĂ€re
Weise, und sie stehen dabei nur auf den ersten Blick in Widerspruch zueinander.
Bernhards Groll gegen die âDummheit der Beurteilerâ,169 denen er die Eignung
und ZustĂ€ndigkeit fĂŒr die Kommentierung seiner Texte meist grundsĂ€tzlich
abspricht, erweist sich vor diesem Hintergrund als hochgradig ambivalent. âNur
wenige soziale Individuenâ, hat Pierre Bourdieu in diesem Zusammenhang betont,
âhĂ€ngen so sehr wie die KĂŒnstler [âŠ] in dem, was sie sind, und in ihrem Bild
von sich selbst von der Vorstellung ab, die sich die anderen von ihnen machen.â 170
Dass Bernhard diese AbhÀngigkeit wiederholt negiert hat, spricht nicht gegen
Bourdieus Deutung, ja sie lĂ€sst sich vielmehr als Beleg dafĂŒr anfĂŒhren, wie sehr
die PrĂ€tention interesselosen Handelns fĂŒr Autorinnen und Autoren am auto-
nomen Pol des literarischen Feldes wichtig ist fĂŒr deren schriftstellerisches self-
fashioning;171 anderen MaĂstĂ€ben als den eigenen zu folgen, gilt dort als Zeichen
der SchwÀche und Heteronomie. Auch komische Szenen, wie jene in Minetti
(1976), in der der titelgebende Schauspieler davon berichtet, âin der NĂ€he von
FolkestoneÂ
/ von einem GastwirtÂ
/ in den Ărmelkanal geworfen wordenâ zu sein,
worauf er, â[a]ngeklammert an eine Wochenendausgabe der TIMESâ, aus dem
Wasser gerettet werden musste, weshalb er der Zeitung buchstĂ€blich â[s]eine wei-
tere Existenzâ âverdankeâ (TBW 17, 38), haben indirekt teil an der bestĂ€ndigen
Reflexion ĂŒber die Beziehung von Kunst, Kritik und Ăffentlichkeit in Bernhards
167 Mittermayer: Thomas Bernhard [2015] (Anm. 4), S. 14.
168 Markus Scheffler: KunsthaĂ im Grunde. Ăber Melancholie bei Arthur Schopenhauer und deren
Verwendung in Thomas Bernhards Prosa. Heidelberg: Winter 2008, S. 324.
169 Bernhard an Unseld, 17. 12. 1981. In: Bernhard/Unseld: Der Briefwechsel (Anm. 2), S. 644.
170 Pierre Bourdieu: KĂŒnstlerische Konzeption und intellektuelles KrĂ€ftefeld. In: P. B.: Kunst
und Kultur (Anm. 43), S. 7 â 49, hier S. 17. â Vgl. dazu auch Georg Franck: Ăkonomie der
Aufmerksamkeit. Ein Entwurf. MĂŒnchen, Wien: Hanser 1998, S. 140: âAuch wenn es denen,
die sich zum Gang in die Ăffentlichkeit entschlieĂen, nicht nur und nicht vorrangig um das
SelbstwertgefĂŒhl geht, hĂ€ngt ihre SelbstwertschĂ€tzung fortan vom Kurswert ihres persön-
lichen Kapitals ab.â
171 Die âBetonung der kĂŒnstlerischen Autonomieâ hat Michael Billenkamp: Provokation und
posture. Thomas Bernhard und die Medienkarriere der Figur Bernhard. In: Mediale Erregun-
gen? Autonomie und Aufmerksamkeit im Literatur- und Kulturbetrieb der Gegenwart. Hg. v.
Markus Joch, York-Gothart Mix u. Norbert Christian Wolf. TĂŒbingen: Niemeyer 2009, S.Â
23 â 43,
hier S. 35, zum âLeitgedankenâ von Bernhards âöffentliche[r] Selbstinszenierungâ erklĂ€rt.
Vom âStreben nach eigener Billigungâ 393
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471