Seite - 398 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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gleich in welcher Richtung, zu verlangsamenâ,3 schreibt Bernhard im November
1970Â
â seine Rede zur Verleihung des Georg-BĂŒchner-Preises hatte kurz zuvor fĂŒr
geteiltes Echo im Feuilleton gesorgtÂ
â an Siegfried Unseld, um diese Beteuerung
in der Folge ein ums andere Mal zu wiederholen. Er bekomme, so Bernhard 1977
im GesprĂ€ch mit dem Kulturjournalisten Peter von Becker, zwar âregelmĂ€Ăig eine
Wutâ bei der LektĂŒre von Kritiken, âweil sowieso immer alles falsch istâ, aus der
Fassung könnten sie ihn, wie er versichert, aber schon lange nicht mehr bringen:
âIch bin mir meiner Sache vollkommen sicher.â 4 Im kurz darauf erschienenen
Band Der Atem. Eine Entscheidung (1978) hÀlt denn auch der autobiographische
ErzĂ€hler im Zuge seines Berichts fest, dass âauf das KopfschĂŒtteln, gleich auf wel-
cher Seite und mag sie sich als die kompetenteste ansehen, keinerlei RĂŒcksicht
genommenâ werden könne (TBW 10, 265)Â
â es liegt nahe, in diesem antizipierten
âKopfschĂŒttelnâ auch das Urteil mancher Literaturkritiker zu vermuten.
Alle âKritiker-Warnungen, die sein Werk von Anfang an begleitenâ, habe
Bernhard, so Ulrich Greiner, stets âin den Windâ geschlagen. Er sei nachgerade
trotzig âbei immer denselben Konstellationenâ geblieben, âdie er in der immer
selben kreisenden, bohrenden, auf Ă€uĂere Geschehnisse mehr und mehr verzich-
tenden Sprache abhandelt.â 5 Dass diese prĂ€tendierte Sicherheit und SouverĂ€ni-
tÀt durchaus zwiespÀltig war, weil Bernhard sich um die Rezeption seiner Texte
stets besorgt zeigte und ihn manche Verrisse tatsĂ€chlich âfurchtbarâ schmerzten,
wurde im letzten Kapitel bereits ausfĂŒhrlich geschildert.6 Es geht dabei nicht
zuletzt um den von Georg Franck in seiner Ăkonomie der Aufmerksamkeit her-
vorgehobenen Umstand, dass die âRolle, die wir im anderen BewuĂtsein spie-
lenâ, ein integraler âBestandteil unseres Selbstbildesâ ist.7 FĂŒr das VerhĂ€ltnis von
Literatur und Literaturkritik heiĂt das, dass die Selbstbilder, die Autorinnen und
Autoren von sich selbst und ihrem Schreiben entwerfen, nicht ohne die Rollen,
die sie im âBewuĂtseinâ der Rezensenten spielen, auskommen, sondern stets in
Korrespondenz zu diesen stehenÂ
â so vehement Erstere dies auch von sich weisen.
3 Thomas Bernhard an Siegfried Unseld, 4. 11. 1970. In: T. B./S. U.: Der Briefwechsel. Hg. v.
Raimund Fellinger, Martin Huber u. Julia Ketterer. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2009, S. 200.
4 Peter von Becker: Bei Bernhard. Eine Geschichte in 15 Episoden. In: Theater 1978. Sonderheft
der Zeitschrift Theater heute. Bilanz und Chronik der Saison 77/78 (1978), S.Â
80 â 87, hier S.Â
85.
5 Ulrich Greiner: Die Tortur, die Thomas Bernhard heiĂt: Korrektur und Die Ursache. [1975] In:
U. G.: Der Tod des Nachsommers. AufsÀtze, PortrÀts, Kritiken zur österreichischen Gegen-
wartsliteratur. MĂŒnchen, Wien: Hanser 1979, S. 65 â 72, hier S. 65.
6 Krista Fleischmann: Hilde Spiel. In: K. F.: Thomas BernhardÂ
â Eine Erinnerung. Interviews zur
Person. Wien: Edition S 1992, S.Â
141 â 150, hier S.Â
146.Â
â Vgl. Kap.Â
VII, Abschnitt âVom âStreben
nach eigener Billigungââ.
7 Georg Franck: Ăkonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf. MĂŒnchen, Wien: Hanser 1998,
S.Â
24. âAngemessener Umgang mit der Aufmerksamkeit anderer zĂ€hltâ, so Franck, âzum Schwie-
rigsten, was uns Menschen aufgegeben ist.â (Ebd., S. 219)
Kraft durch Feinde: Eine Art
Epilog398
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471