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Höhen entwickeln können“ (TBW 13, 88). Die Betonung ihrer intellektuellen
und sozialen Unabhängigkeit ist sowohl für Bernhards ‚Geistes menschen‘ – es
handelt sich durchwegs um Männer, die die Frauen in ihrer Umgebung nicht
als gleichwertige Gesprächspartnerinnen verstehen – als auch für seine eigene
auktoriale posture von entscheidender Bedeutung.14
Die Konzepte künstlerischer und wissenschaftlicher Produktivität, die der
Autor in fiktionalen Texten wie in poetologischen Selbstauskünften entworfen
hat, gehen von einem notwendigen und „ununterbrochene[n] Zur-Wehr-Setzen“
gegen Tradition und Überlieferung aus; „gerade die Autoren, die für mich am
wichtigsten sind“, so Bernhard im 1970 von Ferry Radax produzierten Filmmono-
log Drei Tage, seien gleichzeitig seine „größten Gegner oder Feinde“:
Der Henry James
– ein ständiges Zur-Wehr-Setzen. Meistens kommt man sich lächer-
lich vor gegen diese Leute, dann darf man aber nicht arbeiten
… Aber nach und nach
bekommt man Gewalt, auch über ganz Große
… und man kann sie niederdrücken
…
/ Man kann sich über die Virginia Woolf oder über Forster erheben, und dann muß
ich schreiben. (TBW 22.2, 63)15
Nicht nur Bernhards Figuren haben es zu ihrer Maxime erhoben, gegen die
kanonisierten Akteure der Geistes- und Literaturgeschichte „mit der größten
Grobheit und Roheit“, „[m]it der größten Kühnheit und gleichzeitig Unver-
schämtheit“ vorzugehen (TBW 9, 121 f.), um in diesem Widerstreit ihre intel-
lektuelle und künstlerische Eigenständigkeit zu beweisen. Auch der Autor selbst
hat sein Schreiben als Auflehnung gegen das Bestehende, gegen das Vorbild-
liche der kulturellen Tradition wie gegen die Tendenzen und Moden der Gegen-
wart,16 verstanden; er hat sich selbst zum Außenseiter stilisiert, dessen kreative
14 Dazu die exemplarische Untersuchung von Michael Billenkamp: Provokation und posture.
Thomas Bernhard und die Medienkarriere der Figur Bernhard. In: Mediale Erregungen?
Autonomie und Aufmerksamkeit im Literatur- und Kulturbetrieb der Gegenwart. Hg. v.
Markus Joch, York-Gothart Mix u. Norbert Christian Wolf. Tübingen: Niemeyer 2009,
S. 23 – 43.
15 Im Almanach des Residenz Verlags wurde die Passage 1974 unter dem bezeichnenden Titel
Meine größten Gegner erneut abgedruckt. Vgl. Thomas Bernhard: Meine größten Gegner. In:
Literatur im Residenz Verlag. Almanach auf das Jahr 1974. Salzburg: Residenz 1974, S. 26 – 28.
Dazu die einschlägigen Lektüren dieses Bernhard-Textes von Manfred Mittermayer: Thomas
Bernhard. Stuttgart, Weimar: Metzler 1995, S. 2 – 5, und Hans Höller: „Gewalt auch über ganz
Große“. Thomas Bernhards Überwindung der ‚Einflussangst‘. In: Thomas Bernhard Jahrbuch
2005/2006, S. 65 – 74.
16 Zu dieser „doppelten“ Distinktion, von „der literarischen Tradition zum einen“ und von „den
Zeitgenossen zum anderen“, vgl. Marcus Hahn: Geschichte und Epigonen. ‚19. Jahrhundert‘ /
‚Postmoderne‘, Stifter / Bernhard. Freiburg i. Br.: Rombach 2003, S. 427 f.
Kraft durch Feinde: Eine Art Epilog 401
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
- II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- Einsprüche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
- „Über diesen Roman wären nicht so viele böse Worte zu verlieren …“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, Verbündete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche Schwätzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
- „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der Bühne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der Dürre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als ‚leeres Geschäft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚Natürlichkeit‘ 150
- Die „ästhetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses Unglück) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshändige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- Schnüffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der Lektüre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut Färber 246
- „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- „wirklich unorthodox“: Handke über/mit Ödön von Horváth 259
- Keine Axt für das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- „Kanzlist, Kofferträger und Kunstkritiker“ 289
- „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
- „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
- „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekärer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471