Seite - 404 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Aggression des Intellektuellen angesichts einer geistlosen Gesellschaft lÀcherlich,
sie unterminiert ihren Anspruch auf ValiditÀt und SeriositÀt selbst.
Dieses Changieren zwischen apodiktischem Ernst und spielerischer Selbst-
distanzierung ist fĂŒr Bernhards streitbare WerkpolitikÂ
â zumal dort, wo sie an der
Schnittstelle von FiktionalitĂ€t und FaktualitĂ€t operiertÂ
â generell kennzeichnend.
Wie am Beispiel von Frost gezeigt wurde,23 gehorchen auch seine Kommentare zur
Literaturkritik nicht nur einer âRhetorik der Bezichtigungâ,24 sondern auch einer
Rhetorik der Ăbertreibung und StilisierungÂ
â wurde der Schriftsteller Bernhard
doch keineswegs nur von missgĂŒnstigen Feinden, hartherzigen TĂŒrhĂŒtern und
stumpfsinnigen Lesern in seiner Entwicklung gehemmt, seine Karriere vielmehr
von freundlichen Förderern, umsichtigen Redakteuren, Lektoren und Verlegern
sowie ihm freundlich gesinnten Kritikern begleitet und unterstĂŒtzt. Literarisch
produktiv wird die Distanzierung von den Urteilen der Kritik indes auf zwei
Ebenen: ZunÀchst dienen die Erwiderungen und polemischen Gegendarstellun-
gen, seien sie privat oder öffentlich, der SelbstbestÀtigung im Dissens, wirken
dem literarischen âMuskelschwundâ (TBW 22.2, 312) entgegen. Aber selbst dort,
wo Bernhard wortmĂ€chtig betont, âmeiner Arbeit zuliebe mit meinen Feinden
nichts zu tun habenâ zu wollen (TBW 22.1, 667), bringt diese Beteuerung einen
Text hervor, hĂ€lt also den Konflikt und das Schreiben gleichermaĂen wie ein
Schwungrad in Bewegung.
Sowohl Bernhard als auch Handke haben davon berichtet, sich ihrer âSacheâ 25
durch die ZurĂŒckweisung kritischer Urteile sicherer und klarer geworden zu sein:
Gerade der âpolemische Stil, mit dem Kritiker ein Urteil vertretenâ,26 forderte
Handke dazu heraus, selbst pointiert Stellung zu beziehen, um die Prinzipien sei-
nes SchreibensÂ
â wie er es 2009 in einem Interview formuliert hatÂ
â âaus einem
GegenstoĂ herausâ 27 zu verteidigen. Die selbstbewusste Reaktion auf Jakov Linds
Besprechung der Hornissen aus dem Jahr 1966, die den programmatischen Titel
23 Dazu Kap.Â
III, Abschnitte ââvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritikâ
und ââvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionenâ.
24 Manfred Mittermayer: LĂ€cherlich, charakterlos, furchterregend. Zu Thomas Bernhards Rhe-
torik der Bezichtigung. In: Rhetorik und Sprachkunst bei Thomas Bernhard. Hg. v. Joachim
Knape u. Olaf Kramer. WĂŒrzburg: Königshausen & Neumann 2011, S. 25 â 44.
25 Etwa im Brief von Peter Handke an Alfred Kolleritsch, 14. 11. 1969. In: P. H./A. K.: Schönheit ist
die erste BĂŒrgerpflicht. Briefwechsel. Salzburg, Wien: Jung und Jung 2008, S.Â
33: âAber ich bin
meiner Sache, nicht meiner selbst, ziemlich sicher, wenn ich sehe, was die andern so machen.â
26 Gerhard Pfister: Handkes Mitspieler. Die literarische Kritik zu Der kurze Brief zum langen
Abschied, Langsame Heimkehr, Das Spiel vom Fragen, Versuch ĂŒber die MĂŒdigkeit. Bern u. a.:
Lang 2000, S. 278.
27 Klaus Kastberger/Elisabeth Schwagerle: âEs gibt die Schrift, es gibt das Schreiben.â Peter
Handke im GesprĂ€ch. In: Peter Handke. Freiheit des SchreibensÂ
â Ordnung der Schrift. Hg. v.
Klaus Kastberger unter Mitarb. v. Clemens Ăzelt. Wien: Zsolnay 2009, S.Â
11 â 30, hier S.Â
13: âIch
möchte nur nicht auftreten als aggressiver Schreibender. [âŠ] Meine ganze Existenz ist eine
Kraft durch Feinde: Eine Art
Epilog404
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471