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24 Einführung
infolge von Meinungsunterschieden mit der kirchlichen Obrigkeit. Wenn
Menschen etwa den Priester nicht akzeptierten und ihre Kinder daher nicht
von ihm taufen ließen, bedeutete es noch keinen Konflikt um den richti-
gen Glauben – vielmehr war es ein Konflikt um die weltlich sichtbare Ebene
der Religion, sprich: um die Priester, die Organisationen, die Rituale. Dabei
zeigte sich ein Konkurrenzkampf um das religiöse Feld zwischen der »offizi-
ellen« Kirche (den kirchlichen Obrigkeiten) und den »einfachen« Kirchgän-
gern. Die katholische Kirche stellte dabei den Raum der Konflikte dar
– nicht
(nur) physikalisch-räumlich, sondern vielmehr im Sinne von Geltungsbe-
reich und Bezugspunkt15 –, in dem sich die Gewalthandlungen ereigneten
bzw. auf den sich diese Handlungen letztendlich bezogen.
In den untersuchten Konflikten ging es demnach um die Frage, wer die
Ressourcen im kirchlichen Raum kontrollieren dürfe und solle: die tradier-
ten Autoritäten wie die Priester? Die nationalistischen Agitatoren, die diese
Ressourcen für das politische Feld fruchtbar machen wollten? Die lokalen
Akteure, die ihr Kirchenleben vor Ort, ohne den katholischen Glauben auf-
zugeben, immer mehr mitbestimmen wollten? Im Mittelpunkt der Konflikte
stand also die Frage, wem der kirchliche Raum gehört. Diese Frage betrifft
nicht die Richtigkeit einer Lehre, sondern die gesellschaftliche Teilhabe
innerhalb desselben religiösen Referenzrahmens. Auch wenn die Gewalt in
gewisser Hinsicht religionsbezogen war, waren die Motive in Europa nicht
mehr primär religiös (wie etwa in den frühneuzeitlichen Religionskriegen).
Einerseits wurde selbst der »katholische Raum« pluraler, vielschichtiger.
Andererseits lagen der Gewalt andere (meist politische und / oder soziale)
Komponenten, Gründe, Differenzen zugrunde.16 Rogers Brubaker stellt
dementsprechend fest, dass moderne Konflikte um den kirchlichen Raum
eigentlich nicht religiös, sondern vielmehr politisch motiviert seien.17 Die
Konflikte innerhalb desselben religiösen Feldes entstehen nicht um theo-
logische Unterschiede, sondern um die Machtfrage – diese mag zwar mit
theologischen Konsequenzen (in puncto, wer die Lehre bestimmt) zusam-
menhängen, aber sie ist primär politischer Natur.18 Auch im Falle des Küs-
15 Zur Begrifflichkeit vom »Gewaltraum« als einem Handlungs- und Geltungsbereich
gewalttätiger Akte siehe u. a. Ulrike Jureit, Raum und Gewalt. Eine Einleitung, in:
Dies. (Hg.), Umkämpfte Räume. Raumbilder, Ordnungswille und Gewaltmobilisie-
rung, Göttingen 2016, S. 9–25, hier S. 10.
16 Zur Frage, wie säkulare Differenzen die »religiöse Gewalt« im 19. Jahrhundert
bestimmten, siehe Eveline G. Bouwers, Die Wandlungen im Verhältnis von Glaube
und Gewalt im 19. Jahrhundert, in: Dies. (Hg.), Glaubenskämpfe, S. 337–345,
hier S. 339.
17 Rogers Brubaker, Religious Dimensions of Political Conflict and Violence, in:
Sociological Theory 33 (2015), S. 1–19, hier S. 4.
18 Kwame Anthony Appiah, The Lies that Bind. Rethinking Identity, New York / Lon-
don 2019, S. 40.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303