Seite - 60 - in Umkämpfte Kirche - Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
Bild der Seite - 60 -
Text der Seite - 60 -
60 Imperium, Nation und Katholizismus
Die Habsburgermonarchie war insofern ein paradigmatischer Raum für
Zentraleuropa.6 Aber alles, was sich bezüglich dieses Raumes über dynas-
tische Supranationalität, gelebte Multikulturalität, verfassungsrechtlich ver-
ankerte sprachlich-nationale Gleichberechtigung behaupten lässt, bezieht
sich nur auf die österreichische Reichshälfte. Die habsburgische Idee eines
nicht ethnisch-national vereinigten Zentraleuropa konnte nach dem öster-
reichisch-ungarischen Ausgleich (osztrák-magyar kiegyezés, 1867) nur in der
österreichischen Reichshälfte weitergelebt und ausgeweitet werden. Ungarn,
dem der Ausgleich eine hegemoniale Position über einen Teil der Habsbur-
germonarchie zuerkannte, schlug den Weg eines ethnizisierenden National-
staates ein,7 in dem – wie der damalige ungarische, radikal-linksbürgerliche
Politiker, Oszkár Jászi schrieb – alle Nationalitäten schlechter gestellt gewe-
sen seien als etwa die schwächste Nation in Österreich.8 Der österreichisch-
ungarische Ausgleich lieferte die Nationalitäten Ungarns der ungarisch-
magyarischen Hegemonie aus.9 Außerdem blockierte er nötige Reformen
der imperialen Gesamtstruktur, weil Budapest – im Gegensatz zu Wien, das
die Politik der Ausgleiche auch nach 1867 fortsetzte10 – nicht willens war,
den Nationalitäten irgendwelche Zugeständnisse bezüglich der gesamtstaat-
lichen Struktur einzuräumen.11
Im Folgenden werden die unterschiedlichen Staats- und Nationskonzepte
in den zwei Reichshälften (Kapitel
2.1) sowie die innerkirchlichen, nationalen
Tendenzen (Kapitel 2.2) kurz erörtert. Besonders im oberadriatischen Raum
sind diese Unterschiede von mikrogeschichtlichem Belang, weil das Gebiet
zweigeteilt war. Insofern hatten die ähnlichen Prozesse und Dynamiken der
lokalen Ebene jeweils einen anderen Rahmen: Ähnliche Phänomene ließen
sich in der österreichischen und der ungarisch-kroatischen Hälfte anders
begreifen und beschreiben.
gegenüber den deutschen und sowjetisch-russischen Imperialismen zu behaupten.
Siehe François Fejtö, Requiem pour un empire défunt. Histoire de la destruction de
l’ Autriche-Hongrie, Paris 1993, S. 27.
6 Moritz Csáky, Die Stadt in Zentraleuropa
– ein hybrider Kommunikationsraum, in:
Bernd Stiegler / Sylwia Werner (Hg.), Laboratorien der Moderne. Orte und Räume
des Wissens in Mittel- und Osteuropa, Paderborn 2016, S. 31–59, hier S. 35, 40.
7 Judson, L’ Autriche-Hongrie était-elle un empire?, S. 580.
8 Oscar Jászi, The Dissolution of the Habsburg Monarchy, Chicago 1961 [1929], S.
287.
9 Robert J. Evans, Der ungarische Nationalismus im internationalen Vergleich, in:
Ulrike von Hirschhausen / Jörn Leonhard (Hg.), Nationalismen in Europa. West-
und Osteuropa im Vergleich, Göttingen 2001, S. 291–305, hier S. 301ff.
10 Österreich blieb weiterhin ein multiethnisch-supranationaler Staat, der einzelnen
Teilen weitere Rechte (durch neue Ausgleiche wie etwa in Mähren 1909 oder Galizien
1914) einräumte; vgl. Börries Kuzmany, Habsburg Austria. Experiments in Non-
Territorial Autonomy, in: Ethnopolitics 15 (2016), S. 43–65, hier S. 44ff.
11 Clewing, Staatensystem und innerstaatliches Agieren im multiethnischen Raum,
S. 520f.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303