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68 Imperium, Nation und Katholizismus
schloss mit Kroatien ein Jahr nach dem österreichisch-ungarischen Aus-
gleich einen anderen Ausgleich (magyar-horvát kiegyezés / hrvatsko-ugarska
nagodba; 1868), der den Ländern Kroatien und Slawonien eine gewisse Auto-
nomie in den inneren Angelegenheiten, der Justiz-, Religions- bzw. Bildungs-
politik zuerkannte.51 Dem Land stand der vom ungarischen Ministerpräsi-
denten vorgeschlagene Banus (bán / ban) vor. In der ungarischen Regierung
wurde ein eigener Minister für die Angelegenheiten Kroatiens und Slawoni-
ens beauftragt.52
Der verfassungsrechtliche Status von Kroatien ließ sich jedoch unter-
schiedlich auslegen.53 Auch in der damaligen rechtswissenschaftlichen Lite-
ratur entbrannte ein Streit zwischen dem berühmten deutschen Juristen,
Georg Jellinek, und dem Zagreber Staatsrechtler, Josip Pliverić, bezüglich der
Frage, ob Kroatien ein eigenes Land wäre.54 Pliverić versuchte, den deutschen
Rechtsgelehrten Jellinek davon zu überzeugen, dass Kroatien als ein eigener
Staat mit Ungarn einen Ausgleich geschlossen hätte. Nach dieser Auffassung
wäre die Donaumonarchie nicht dualistisch, sondern trialistisch gewesen:
österreichisch, ungarisch und kroatisch. Georg Jellinek widerlegte aber diese
These: Kroatien sei ein autonomer Teil des ungarischen Staates.55 Darüber,
auf welcher Basis sich eine kroatische Staatlichkeit hätte formulieren sol-
len, gingen die Meinungen auch in Kroatien auseinander: Dies hing damit
51 Zur Verfassungsgeschichte des ungarisch-kroatischen Ausgleichs siehe u. a. László
Heka, A magyar-horvát államközösség alkotmány- és jogtörténete [Die Verfassungs-
und Rechtsgeschichte der ungarisch-kroatischen Staatsgemeinschaft], Szeged 2004,
S. 167ff.; Dalibor Čepulo / Mirela Krešić, Hrvatsko-ugarska nagodba. Institucije i
stvarnost [Kroatisch-ungarischer Ausgleich. Institutionen und Wirklichkeit], in:
Dinko Šokćević [Dénes Sokcsevits] (Hg.), »Mint nemzet a nemzettel…«. Tudomán-
yos konferencia a magyar-horvát kiegyezés 140. évfordulója emlékére / »Kao narod s
narodom...« Konferencija u spomen 140. obljetnici Hrvatsko-ugarske nagodbe [»Als
Nation mit der Nation …« Wissenschaftliche Konferenz anlässlich des 140. Jubi-
läums des ungarisch-kroatischen Ausgleiches], Budapest 2011, S. 141–155; Daniel
Baric, Entre construction juridique, tensions nationales et modernisation. Le com-
promis hungaro-croate de 1868, in: Jean-Numa Ducange / Jacques Lajarrige (Hg.),
L’ empire austro-hongrois. Les enjeux de la présence allemande en Europe centrale
(1867–1918), in: Austriaca 73 (2011), S. 31–48; sowie Ivan Kosnica, Das Problem der
Staatsbürgerschaft in Kroatien und Slawonien im Ausgleichszeitraum (1868–1918),
in: Gábor Máthé / Barna Mezey (Hg.), Kroatisch-ungarische öffentlich-rechtliche
Verhältnisse zur Zeit der Doppelmonarchie, Budapest 2015, S. 188ff.
52 Der Titel des Ministers lautete offiziell »Minister für die kroatischen, slawonischen
und dalmatinischen Angelegenheiten«, weil Ungarn aufgrund historischer Staats-
rechte auch Dalmatien für sich beanspruchte.
53 Mirjana Gross, Anfänge des modernen Kroatien, Wien u. a. 1993, S. 117.
54 Georg Jellinek / Josip Pliverić, Das rechtliche Verhältnis Kroatiens zu Ungarn,
Agram [Zagreb] 1885.
55 Zur Problematik der pseudo-staatlichen Strukturen siehe Georg Jellinek, Über
Staatsfragmente, Heidelberg 1896, S. 35–46.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303