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73Katholizismus
und Nation
Vielfältigkeit versprachen, auf allen Ebenen des Reiches verbreitet waren.77
Der universale Katholizismus stützte in diesem Sinne die ebenso universale
Reichsidee bis zum Ende der Donaumonarchie.78 Die katholische Religion –
als eine nicht national gebundene Religion
– bot den Gläubigen unterschied-
licher Nationalität eine gemeinsame Identifizierungsmöglichkeit.79 Es gab
zwar kein einheitliches Staatsvolk – aber eine katholische Dynastie, gegen-
über der sich die katholischen Völker (schon aus religiösen Gründen) loyal
verhalten konnten.80 Die Habsburger konnten den Anspruch einer nationa-
len Dynastie im Interesse eines einzigen Volkes nicht erheben. Deswegen for-
mulierte Wien den traditionellen, dynastischen Patriotismus als Loyalitäts-
basis, die über die nationalen Differenzen hinaus verbindend wirkte.81
Im Mittelpunkt dieses Patriotismus stand der religiös aufgeladene Kult
um die Dynastie.82 Die Religionen stellten insofern eine wichtige Legitimati-
onsbasis für die Dynastie und das Reich dar. Nicht nur in den katholischen,
sondern auch in den protestantischen, orthodoxen Kirchen, muslimischen
Moscheen und jüdischen Synagogen wurde für die katholische Dynastie
gebetet. Wie Joseph Roth in seinem Radetzkymarsch schrieb: »Und hundert-
tausendmal verstreut im ganzen weiten Reich war der Kaiser Franz Joseph,
allgegenwärtig unter seinen Untertanen wie Gott in der Welt.«83 Kaiser und
König Franz Joseph I. stand dabei nicht mehr als ein katholischer, sondern
als ein allgemein religiöser Monarch da, mit dem sich die unterschiedlichen
Religionsgruppen identifizieren konnten.84
Die Religion konnte als (wenn auch nicht ausschließliche) Legitima-
tionsbasis nicht nur für das Imperium – dem die Staatsnation als Legiti-
mationsbezug fehlte –, sondern auch für die Nationsbewegungen – denen
77 Johannes Feichtinger, Habsburg (post-)colonial. Anmerkungen zur inneren Kolo-
nialisierung in Zentraleuropa, in: Ders. u. a. (Hg.), Habsburg postcolonial. Macht-
strukturen und kollektives Gedächtnis, Innsbruck u. a. 2003, S. 13–31, hier S. 15.
78 Gottsmann, Rom und die nationalen Katholizismen, S. 9.
79 James Shedel, Emperor, Church, and People. Religion and Dynastic Loyalty during
the Golden Jubilee of Franz Joseph, in: The Catholic Historical Review 76 (1990),
S. 71–92, hier S. 74.
80 John W. Boyer, Religion and Political Development in Central Europe around 1900.
A View from Vienna, in: Austrian History Yearbook 25 (1994), S. 13–57, hier S. 13.
81 Daniel L. Unowsky, Dynastic Symbolism and Popular Patriotism. Monarchy
and Dynasty in the Late Imperial Austria, in: Hirschhausen / Leonhard (Hg.),
Comparing Empires, S. 237–265, hier S. 239.
82 Laurence Cole, Der Habsburger-Mythos, in: Emil Brix u. a. (Hg.), Memoria
Austriae I. Menschen, Mythen, Zeiten, Wien 2004, S. 472–504, hier S. 474f.
83 Zitiert nach der Ausgabe: Joseph Roth, Radetzkymarsch, Zürich 2010, S. 102.
84 Über die Wichtigkeit der omnipräsenten Figur des streng gläubigen Franz Joseph I.
siehe u. a. Michaela Vocelka / Karl Vocelka, Franz Joseph I. Kaiser von Österreich
und König von Ungarn. 1830–1916. Eine Biographie, München 2015, S. 9ff.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303