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74 Imperium, Nation und Katholizismus
die Staatlichkeit als territoriale Ordnung fehlte – dienen,85 auch wenn das
Zusammenspiel nationaler und religiöser Selbstverortungen unterschiedlich
geartet und wahrgenommen werden konnte. Nation und Religion standen
insofern in der Habsburgermonarchie – wie Moritz Csáky schreibt – weder
antagonistisch noch synchron, vielmehr dialektisch zueinander:
So avancierte der Katholizismus zum Symbol unterschiedlicher, zum Teil gegen-
sätzlicher nationalpolitischer Konzepte. Für die Nationsbildung der Slowaken oder
Kroaten bekam der Katholizismus eine nationsstiftende Funktion, während die offi-
zielle Gesamtstaatsrhetorik Wiens sich der transnationalen Funktion des Katholizis-
mus bediente.86
Obgleich die Identifizierung und ihre öffentliche / politische Konsequenz,
die Loyalität, kein Nullsummenspiel sind, in dem eine Identifizierung nur
auf Kosten einer anderen möglich wäre,87 bestimmte die nationale Frage
auch das Kirchenleben und die Selbstverortungen der Gläubigen. Auch
wenn die nationale Selbstverortung – besonders bei den katholischen Gläu-
bigen – nicht notwendigerweise ausschließlich (exklusiv) war, sondern sich
dynamisch und dialektisch entwickelte und änderte, lässt sich die Tatsache,
dass die nationale Identifizierung auch unter den katholischen Gläubigen,
in der katholischen Kirche und besonders bezüglich der katholischen Kirche
immer mehr an Bedeutung gewann, nicht wegdenken. Der Katholizismus
diente insofern nicht nur von oben her als eine mögliche Legitimationsres-
source. Auch die nationalistischen Bewegungen bedienten sich der integrati-
ven Kraft des Katholizismus.88
Daher spricht Moritz Csáky nicht von einem, sondern mehreren Katholi-
zismen innerhalb der Donaumonarchie.89 Die »Katholizismen« bedeuteten
aber nicht unbedingt nationalpolitisch gespaltene, innerkirchliche Räume,
sondern vielmehr eine lokale Ebene, die ihren Katholizismus innerhalb der
katholischen Kirche gegenüber den institutionalisierten Formen, Praktiken
oder den kirchlichen Obrigkeiten normabweichend erleben und bestim-
men wollte. Der Katholizismus stellte für ländliche Regionen bzw. für die
in der lokalen Machtstruktur benachteiligten Völker den inhaltlichen und
85 Beate Hock, Kulturelle Dimensionen der Transnationalen Verflechtungen Ostmit-
teleuropas 1870er Jahre bis 1914, in: Hadler / Middell (Hg.), Handbuch einer trans-
nationalen Geschichte Ostmitteleuropas, S. 189–255, hier S. 239.
86 Csáky, Paradigma Zentraleuropa, S. 13.
87 Martin Schulze Wessel, »Loyalität« als geschichtlicher Grundbegriff und For-
schungskonzept. Zur Einleitung, in: Ders. (Hg.), Loyalitäten in der Tschechoslowa-
kischen Republik 1918–1938. Politische, nationale und kulturelle Zugehörigkeiten,
München 2004, S. 1–22, hier S. 10.
88 Ders., Nationalisierung der Religion und Sakralisierung der Nation, S. 12.
89 Csáky, Paradigma Zentraleuropa, S. 13.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303