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77Katholizismus
und Nation
Sprachenfrage ließ sich die Kirche als Raum ethnozentristisch beanspru-
chen und narrativ begrenzen, als ob die Kirche nur einer »Nationalität«
gehören dürfte. Durch solche Raumansprüche erhöhte sich das sprachen-
bezogene Konfliktpotenzial. Die Frage etwa, ob die Messe lateinisch oder
altslawisch (glagolitisch) gelesen sowie die Predigten auf der Muttersprache
der jeweiligen Kirchgänger gehalten werden sollten, spaltete nicht nur Kir-
chengemeinden, die ethnisch-sprachlich heterogen waren wie etwa in Istrien
(Kapitel 3.1), sondern auch die ethnisch-sprachlich homogenen Kirchenge-
meinden im Triestiner Hinterland (Kapitel 3.2) oder am Ungarisch-Kroati-
schen Küstenland (Kapitel 4.1). Besonders die Frage der altslawischen Litur-
gie
– ein mittelalterliches Privileg mehrerer ostadriatischer Bistümer
– sorgte
für kirchen- und nationalpolitische Debatten (vgl. Kapitel 3.1.4, 4.1.4, 4.2.4).
Worum handelte es sich dabei ursprünglich? Das Privileg, altslawische
Gottesdienste lesen zu dürfen, entstand noch im Kontext der Christianisie-
rung des europäischen Ostens und Südostens im Mittelalter.102 Im 9. Jahr-
hundert wurden Kyrill und Method, zwei byzantinische Missionare, zu den
Südslawen geschickt, um sie zu christianisieren.103 Dazu wurde ein eigenes
Alphabet, das sog. »Glagoljica«, entworfen.104 Nach dem Ost-West-Schisma
durften einige Diözesen in Westkroatien, Istrien und Dalmatien das Alpha-
bet und die dazu gehörige altslawische Sprache als Liturgiesprache einer
sonst nach lateinischem Ritus zelebrierten Messe beibehalten.105 Der Ritus
blieb also lateinisch,106 aber innerhalb dieses Ritus wurde die Verwendung
der altslawischen Sprache und der glagolitischen Schrift (als eigener Usus)
ab dem 10. Jahrhundert zuerst nur geduldet,107 dann ab 1248 mit einer Ent-
102 Peter Plank, Die geschichtliche Entwicklung der orthodoxen Kirche im Südosten
und Osten Europas, in: Wilhelm Nyssen u. a. (Hg.), Handbuch der Ostkirchen-
kunde, Düsseldorf 1984, Bd. 1, S. 133–223, hier S. 136f.
103 Vgl. Anton Benvin, Prenošenje glagoljske tradicije u liturgiji [Übertragung der gla-
golitischen Tradition in der Liturgie], in: Croatica Christiana Periodica 4 (1980),
S. 124–135, hier S. 125ff.
104 Zum glagolitischen Alphabet siehe u. a. Wilhelm Lettenbauer, Zur Entstehung
des glagolitischen Alphabets, in: Slovo. Časopis Staroslavenskoga Instituta u
Zagrebu (1953), S.
35–50; einige Theorien gehen aber von einer gothischen Herkunft
des glagolitischen Alphabets aus, siehe dazu Josip Škunca, O podrijetlu glagoljice
[Von der Herkunft der Glagolica], in: Riječki teološki časopis 22 (2014), S. 135–162.
105 Mile Bogović, Hrvatsko glagoljaštvo kao inkulturacijski proces [Kroatische
Glagolica als Inkulturationsprozess], in: Riječki teološki časopis 23 (2015),
S. 317–324, hier S. 317f.
106 Zur Begrifflichkeit vom lateinischen Ritus und glagolitischen Usus siehe u. a.
Stephan Smežik, The Glagolitic or Roman-Slavonic Liturgy, Cleveland / Rome 1959,
S. 15f.; sowie Predrag Bukovec, Der glagolitische Usus des römischen Ritus, in:
Ostkirchliche Studien 64 (2015), S. 96–129, hier S. 97.
107 Es ist schwierig – wegen der sporadischen Quellenlage – festzustellen, ab wann
westkroatische und dalmatinische Pfarreien die glagolitische Liturgiesprache prak-
tizierten. Die erste Erwähnung der altslawischen Liturgiesprache aus kroatischspra-
chigen Gebieten war gerade ein Verbot, das während des Konzils von Spalato / Split
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303