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97Konflikte
um die Nationalisierung
Beim bischöflichen Besuch war die Kirche von Visinada / Vižinada bis
auf den letzten Platz besetzt. Als Zeichen des interethnischen Respektes und
des supranationalen Selbstverständnisses der römisch-katholischen Kir-
che wandte sich Bischof Flapp an die italienisch- und kroatischsprachigen
Kirchgänger in beiden Sprachen. Für viele italienischsprachige Menschen
war das aber ein Skandal – oder zumindest ein Vorwand, einen Skandal
provozieren zu können. Mehrere Personen standen mitten in der Predigt
auf und verließen mit großem Lärm die Kirche. Sie riefen noch in der Kir-
che, beim Verlassen, »Tod den Kroaten« und andere Beschimpfungen.41 Als
Bischof Flapp nach dem Gottesdienst aus der Kirche trat, beschimpften sie
ihn weiter unter anderem als »kroatischen Schweinebischof«42 – obwohl
Flapp bekanntermaßen italienischer Abstammung war. So löste die kroa-
tischsprachige Predigt die heftigsten Gegenreaktionen aus. Der Besuch fand
von Anfang an in einer verfeindeten Stimmung statt: Bischof Flapp wurde
abgelehnt, bevor er überhaupt etwas gesagt hatte. Einige Menschen, die den
Bischof hassten, brauchten insofern nicht einmal den Gottesdienst zu besu-
chen, um ihm etwa »kroatische« Sympathien vorzuwerfen. Schon bei dessen
Ankunft in Visinada / Vižinada warteten sie auf die bischöfliche Kutsche,
und riefen dem Bischof »Merda per i Croati«, das heißt »Scheiße den Kroa-
ten«, zu. Sie bejubelten gleichzeitig irredentistische und antiklerikale Vereine
wie die »Unione«.43
Angesichts der angespannten Lage verzichteten Bischof Flapp und seine
Gäste auf das geplante gemeinsame Mittagessen im Ort. Die eingeladenen
Menschen aus der Ortschaft fürchteten sich vor Provokationen und mög-
lichen Angriffen.44 Auch wenn es nicht zu physischer Gewalt kam, wollte
Bischof Flapp so schnell wie möglich mit einer Kutsche in die nächste Ort-
schaft weiterfahren. Ihm wurde aber keine Kutsche in Visinada / Vižinada
bereitgestellt. Alle, die eine Kutsche hatten, verweigerten dem Bischof ihre
Hilfe. Daher verzögerte sich die Abfahrt, bis eine Kutsche für den Bischof
aus einem anderen Dorf gefunden werden konnte.45 Als Bischof Flapp weg-
fuhr, konnte er noch immer die schreienden Menschen hören. Sie beleidigten
41 Bericht der Bezirkshauptmannschaft von Parenzo / Poreč (22. Oktober 1896), in:
Državni Arhiv u Pazinu (Staatsarchiv in Pisino / Pazin, weiter: DAP), Kotarsko
poglavarstvo (Kapetanat) u Poreču (Bezirkshauptmannschaft von Parenzo / Poreč,
weiter: Kapetanat Poreč), Opči Spisi (Allgemeine Schriften, weiter: Op.Sp.), kutija
(kut.) 60, fasc. I/9, 1896/10365.
42 Zeugenaussage über einen Tatverdächtigen (ohne Datum), in: Ebd. [übersetzt aus
dem Italienischen von mir].
43 Protokolle über einen Tatverdächtigen (ohne Datum), in: Ebd., 1896/10365 [übersetzt
aus dem Italienischen von mir].
44 Bericht des Landes-Gendarmarie-Commando (28. Oktober 1896), in: Ebd., kut. 53,
fasc. D/1, 7215 – 98 – D1.
45 Bericht des Landes-Gendarmarie-Commando (19. Oktober 1896), in: Ebd., kut. 60,
fasc. I/9, 1896/10365.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303