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98 Österreichisches Küstenland
jedoch nicht nur die »Kroaten«, sondern auch alle, die den Bischof würdig
verabschieden wollten: Als ein italienischsprachiger Mann seinen Hut vor
der Kutsche des Bischofs abnahm, wurde er von den lärmenden Menschen
barsch zur Rede gestellt.46 Eine Großzahl der Leute, die sich am Platz und
entlang der Straße versammelten, stand mit abgesetzten Hüten schweigsam
da und schaute der wegfahrenden Kutsche in würdevoller Weise nach.47
In Visinada / Vižinada war das Verhältnis zwischen einigen Bewohnern
und der Kirche seit einer gewissen Zeit schlecht: Die Entscheidung des örtli-
chen Pfarrers, kroatische Predigten in der Kirche einzuführen, verursachte
Empörung unter einigen italienischsprachigen Einwohnern. Trotzdem
wurde daraufhin an den Sonn- und Feiertagen immer auch auf Kroatisch
in der Stadtkirche gepredigt. Die Messe um 7 Uhr in der Früh wurde für die
Landbevölkerung zelebriert. Der Vorwurf der italienisch-nationalistischen
Kreise, dass die kroatische Predigt von Bischof Flapp ein ungewöhnlicher
Akt in der Kirche von Visinada / Vižinada gewesen sei, stimmte also nicht: In
der Kirche wurde regelmäßig auf Kroatisch gepredigt.48 Italienischsprachige
Menschen besuchten öfters diese Gottesdienste, obwohl Gottesdienste mit
italienischer Predigt ebenso gelesen wurden. Für viele stellte die kroatische
Predigt aber eine gute Gelegenheit dar, ihrer Missbilligung demonstrativ
Ausdruck zu verleihen. Es kamen also immer wieder ähnliche Szenen in der
Kirche vor wie während des bischöflichen Besuches: Wie die örtliche Gen-
darmarie berichtete, verließen »die von der italienischen Partei« während
der kroatischen Predigten fast jeden Sonntag die Kirche.49
Das Kirchenleben war in den polizeilichen Berichten so dargestellt, als
ob die Kirchgänger in zwei Parteien, die »slawische« und die »italienische«
gespalten gewesen wären. Der Hass der »italienischen Partei«, die das Stadt-
magistrat von Visinada / Vižinada dominierte, richtete sich jedenfalls nicht
(nur) gegen die kroatische Predigt oder die kroatischsprachigen Kirchgänger
(»die kroatische Partei«). Die eigentlichen Positionen der »italienischen Par-
tei« gingen über das »nationale« Thema hinaus. Sie lehnten grundsätzlich die
katholische Kirche als solche ab. Der barsche Empfang für den Bischof seitens
einiger italienischsprachiger Einwohner und des nationalliberal dominierten
Magistrates lässt sich nur mit nationalen Gegensätzen und purem Nationa-
lismus nicht erklären. Bischof Flapp war der italienischfreundlichste Bischof
im Österreichischen Küstenland, der etwa die altslawische Liturgiesprache,
46 Ebd.
47 Bericht des Landes-Gendarmarie-Commando (28. Oktober 1896), in: Ebd., kut. 53,
fasc. D/1, 7215 – 98 – D1.
48 Bericht der Bezirkshauptmannschaft von Parenzo / Poreč (22. Oktober 1896), in:
AST, Luogotenenza, AP, b. 190, fasc. 4.2.1., 1896/2123.
49 Bericht des Landes-Gendarmarie-Commando (28. Oktober 1896), in: DAP,
Kapetanat Poreč, kut. 53, fasc. D/1, 7215 – 98 – D1.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303