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113Konflikte
um die Nationalisierung
Dörfer ebenso und hielt dort kroatischsprachige Predigten. Dies bedeutete
für die dortige ländliche Bevölkerung eine soziale Aufwertung zumindest
innerhalb der katholischen Kirche. Die Kirche bot dieser südslawischen
Bevölkerung einen Raum an. Infolgedessen konnte sich nationalistisch-anti-
kroatische und antiklerikale Kritik dagegen überlappen: In beiden Perspekti-
ven erschien Don Corazza als politischer Feind
– entweder weil er kroatisch-
sprachige Gottesdienste zelebrierte oder wegen seiner Tätigkeit als Priester.
In den Vorwürfen gegen Don Corazza, antiitalienisch zu sein, seinen Namen
nach kroatischer Schreibweise anzugeben sowie unter der ländlichen, meist
südslawischen Bevölkerung kroatischsprachige Predigten zu halten, zeig-
ten sich die allgemeinen Vorstellungen, die in der städtischen Öffentlichkeit
über die katholische Kirche vorherrschten: Infolge der Raumimaginationen
gehörte ein Pfarrer, auch wenn er etwa italienischer Abstammung war, zum
»südslawischen« »Lande«. Die italienischsprachige, nationalliberale, urbane
Elite sah in der katholischen Kirche einen Raum, in dem und durch den sich
die ländliche, südslawische Bevölkerung emanzipieren könne.
Das Narrativ des innerkatholischen »Nationalitätenkonfliktes« ging von
der Annahme aus, dass sich ethnisch-sprachlich homogene, geschlossene
Gruppen (und die diesen Gruppen zugehörigen Menschen) in den Konflik-
ten gegenübergestanden hätten. Diese gruppenfixierten Gegensätze wurden
allerdings erst durch Erklärungen konstruiert, welche etwa Don Corazza als
national indifferenten »Italiener« oder (infolge der nationalen Markierung
des kirchlichen Raumes) als »Kroate« beschrieben. Die Bezirkshauptmann-
schaft stellte zuerst fest, dass Don Corazza zwar »der Gesinnung nach« »Kro-
ate« sei, aber bis jetzt keinerlei nationalistische Agitation ausgeübt habe.117
Wie fluid solche Identitätszuschreibungen sein konnten, beweist ein späterer
Bericht derselben Bezirkshauptmannschaft: Dort galt Don Corazza als »ein
eifriger Parteigänger der Italiener«.118 Die Bezirkshauptmannschaft gab in
beiden Fällen verbreitete Meinungen aus der lokalen Ebene wieder. Zwischen
diesen zwei Bemerkungen über den Pfarrer von Torre / Tar verging nur ein
halbes Jahr. Die Unsicherheit bezüglich der national-sprachlichen Zuord-
nung des Pfarrers rührte auch daher, dass sich italienische und südslawi-
sche Elemente in der örtlichen Kultur oder den persönlichen Biographien
nicht klar voneinander trennen ließen.119 Die ethnisch-nationalen, sprach-
117 Bericht der Bezirkshauptmannschaft von Poreč / Parenzo (21.
Januar 1899), in: Ebd.,
1899/51.
118 Bericht der Bezirkshauptmannschaft von Poreč / Parenzo (24. Juli 1899), in: Ebd.,
1899/1852.
119 Marta Verginella, Radici dei conflitti nazionali nell’ area alto-adriatico. Il para-
digma dei »nazionalismi opposti« [Wurzel der nationalen Konflikte im oberadria-
tischen Raum. Das Paradigma der »gegenseitigen Nationalismen«], in: Alessandro
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303