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125Konflikte
um die Nationalisierung
Halte den Frieden auch mit Deinem Nebenmenschen. Auch das gilt allen, und ist
besonders wichtig dort, wo der unvernünftige Nationalitätenhader die Gemüter
erregt, ja geradezu erbittert. Gewiss hast Du das Recht und die Pflicht, Deine Nation
und Deine Muttersprache zu lieben und zu pflegen. Du bist aber nicht allein auf der
Welt; dein anderssprachiger Nächster hat dasselbe Recht und wo ihr beide zusammen-
kommt, gilt euch das Wort des heiligen Geistes: »Was du nicht willst, das Dir geschehe,
das tue auch einem anderen nicht.«163
Im nationalistischen Vokabular wurde die lokale Komplexität auf klare
Trennlinien entlang nationaler Unterschiede reduziert. Auf die Konfliktpar-
teien wurde danach als »die Südslawen« und »die Italiener« referiert, als ob
die Konflikte nur aufgrund nationaler Differenzen entstanden wären. »Süd-
slawen« und »Italiener« waren allerdings dabei nur diejenigen, die sich nati-
onalistisch positionierten. Insofern sind sie nicht mit allen gleichzusetzen,
die sich zwar ihrer ethnisch-nationalen Zugehörigkeit und ihrer Mutterspra-
che bewusst waren, ihnen aber keine politische, geschweige denn ausschlie-
ßende / ausschließliche Bedeutung beimaßen.164 Als etwa italienischspra-
chige Frauen in mehreren Kirchen in der Umgebung von Parenzo / Poreč im
Jahre 1911 die heilige Jungfrau von Pompei mit einer Anspielung auf Ita-
lien, wo Pompei liegt, anbeteten, erachteten es einige südslawische Priester
aus dem niederen Klerus – angestachelt von der kroatischsprachigen, nati-
onalistischen Zeitung Naša Sloga165 – als irredentistisch-nationalistisch. Es
handelte sich aber um einen religiösen Akt, wo nicht Italien, sondern die
Mutter Gottes im Vordergrund stand. Die Frauen mögen zwar dabei auch
ein italienisches Bewusstsein gehabt haben, aber ihnen fehlte jegliche nati-
onalistische Intention.166 Es war jedoch in den nationalistischen Diskursen
möglich, aus dem religiösen Akt eine angeblich nationalistische Handlung
herauszulesen.
Während die kirchliche Obrigkeit die Vielfalt der lokalen Ebene und die
Akzeptanz der Mehrsprachigkeit innerhalb der Kirchengemeinden betonte,
163 Hirtenbrief vom Bischof Nagl (15. Februar 1903), in: AST, Luogotenenza, Atti
Generali (Allgemeine Schriften, weiter: AG), b. 1262, fasc. 42.2, 1903/5482. (Der
Hirtenbrief wurde in italienischer, deutscher und slowenischer Sprache verfasst,
damit erwies sich die Kirche toleranter und offener, als etwa die liberale Stadtver-
waltung in Triest, die der slowenischen Sprache die ihr aufgrund der demographi-
schen Zusammensetzung von Triest gebührende öffentliche Verwendung – trotz
der diesbezüglichen österreichischen Vorschriften – verweigerte).
164 Dazu, warum Nation und Nationalismus nicht gleichzusetzen sind, siehe Rogers
Brubaker, Nationalism reframed. Nationhood and the national question in the
New Europe, Cambridge 1996, S. 16f.
165 Naša Sloga, 5. Oktober 1911.
166 Brief vom Bischof Flapp an die Bezirkshauptmannschaft von Parenzo / Poreč
(24. November 1911), in: AST, Luogotenenza, AP, b. 360, fasc. 19b, 1911/1954.
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303