Seite - 140 - in Umkämpfte Kirche - Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
Bild der Seite - 140 -
Text der Seite - 140 -
140 Österreichisches Küstenland
lich-soziale Zeitung aus Triest, L´Avennire, verbreitete gleichzeitig das
Gerücht, dass sich eine russische Prinzessin in der Nähe von Ricmanje auf-
halte.228 Das Blatt wollte damit suggerieren, dass die Austritte in Ricmanje
und Boljunec mit einer russischen Agitation zu erklären seien.
Ende
März 1902 wurde die bischöfliche Vakanz beendet. Mit Franz Xaver
Nagl, dem neuen Bischof, schickte der Hl. Stuhl seit mehr als 70 Jahren den
ersten nicht südslawischen Bischof in die sonst überwiegend italienischspra-
chige Hafenstadt.229 Das italienischsprachige, katholische Blatt in Triest, La
Ricreazione, betonte, dass der neue Bischof zwar deutschösterreichischer
Abstammung sei, aber auch die italienische Sprache sehr gut beherrsche.230
Bischof Nagl traf erst im August 1902 in Triest ein. In seiner ersten, lateini-
schen Predigt begrüßte er »omnes Italos et Slavos«.231 Wie das italienisch-
nationalistische Blatt L´ Istria bemerkte: Er habe seine Stelle »in einer sehr
kritischen Zeit« angetreten, als »ein krasser Antagonismus […] zwischen
dem italienischen und dem slawischen Teil des Klerus« bestanden habe.232
Bischof Nagl stand jenseits dieser Antagonismen: Er wollte – wie im Kapi-
tel 3.1.4 angedeutet wurde – das Kirchenleben von den »Nationalitätenkon-
flikten« fernhalten. Gleichzeitig vertrat er die Ansicht, dass der Gehorsam
gegenüber den päpstlichen Entscheidungen eindeutiger einzufordern sei.
Die auch von Nagl vorangetriebene Supranationalisierung (im Sinne von
Klerikalisierung / Ultramontanisierung) der katholischen Kirche war mit
einer starken Rückbesinnung auf Rom möglich.233 Als Bischof veröffentlichte
Nagl alle früheren päpstlichen Dekrete bezüglich der altslawischen Litur-
giesprache, welche sein Vorgänger, Bischof Šterk, aus Angst vor nationalis-
tischen Konflikten in seinem Bistum bewusst verschwiegen hatte. Bischof
Nagl griff entschieden gegen die normabweichenden Realitäten durch. Nach
der Information des kroatisch-nationalistischen Blattes Istriens, Naša Sloga,
hätte Bischof Nagl mit dem italienischsprachigen Bischof von Pola / Pula,
Giovanni Battista Flapp, vereinbart, härter gegen die altslawische Liturgie-
sprache in den Kirchen vorzugehen. Das Blatt warnte daher »den nationalen
[volksnahen] Klerus« vor »einem tödlichen Schlag«.234 Bischof Nagl erzwang
228 L’ Avvenire, 14. März 1902 [übersetzt aus dem Italienischen von mir].
229 Zovatto, Cattolicesimo a Trieste, S. 9.
230 La Ricreazione, 1. Mai 1902.
231 Zitiert in Katarina Košuta, L’ episcopato triestino di Franz Xaver Nagl (1902–1910).
Tesi di laurea in storia contemporanea [Die Triestiner Bischofszeit von Franz Xaver
Nagl (1902–1910). Diplomarbeit in Zeitgeschichte], Trieste 2002 [unveröff. Diplom-
arbeit], S. 31.
232 L’ Istria, 30. August 1902 [übersetzt aus dem Italienischen von mir].
233 Adolf M. Birke, Nation und Konfession. Varianten des politischen Katholizismus
in Europa des 19. Jahrhunderts, in: Historisches Jahrbuch 116 (1996), S. 395–416,
hier S. 397.
234 Naša Sloga, 11. Dezember 1902 [übersetzt aus dem Kroatischen von mir].
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Titel
- Umkämpfte Kirche
- Untertitel
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Autor
- Péter Techet
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Abmessungen
- 15.9 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303